Klappe ich meinen Rechner auf, so springen mich tagtäglich hunderte von Fotos an. Egal welche Plattform, man wird bombardiert. Heute ist alles erlaubt, vor allem ist es jedem erlaubt immer und überall alles zu zeigen. In Onlineforen wird gerne gezeigt was man fotografiert hat und es wird gerne Feedback eingeholt. Hach ja, wir wollen doch alle ein paar Streicheleinheiten. Verständlich, will ich auch. Onlineforen sind öffentlich, hier kann jeder publizieren und jeder Feedback geben. Es ist egal wer Du bist, was Du machst und ob Du überhaupt Ahnung von dem hast, worüber Du schreibst. Das ist eigentlich gut, denn ich bin ein Freund davon jedem die Möglichkeit zu geben seine Meinung zu sagen. Ebenso soll jeder die Möglichkeit haben seine Werke zu zeigen. Schnell spielen sich dann aber Dialoge, wie der folgende fiktive ab:
Er: Hier noch ein Schnappschuss von gestern. Out of Cam. Wie findet Ihr es? (Postet Bild dazu)
Die anderen: Toll
Die anderen: Schön gesehen
Die anderen: Klasse Moment
Die anderen: Mag ich, like auch mal meine Seite
Der Böse: Hmm, also ehrlich gesagt finde ich den Bildaufbau nicht so ideal. Du hättest wenigstens die 2/3-Regel beachten können.
Er: Das ist ein Schnappschuss gewesen
Der Böse: Warum fragst Du dann nach Feedback? Hier geht es um Fotografie.
Er: Ich mag’s, dachte es gefällt.
Die anderen: Ich finds genial. Habe fast das gleiche Bild letztens gemacht. Schau mal auf meine Seite und like.
Der Böse: Aber ein paar Grundregeln der Fotografie kann man auch bei einem Schnappschuss beachten, wenn man dann schon in einem Fotoforum postet.
Er: Regeln sind zum brechen da.
Der Böse: Aber nur in Ausnahmefällen. Regeln haben schon ihre Berechtigung.
Er: Allen anderen gefällt es, Du bist der einzige der meckert.
Der Böse: Ich meckere nicht, ich versuche Dir Feedback zu geben. Frag doch nicht danach, wenn Du es nicht hören willst.
Er: Kunst liegt ja schliesslich im Auge des Betrachters. Schon 50 Likes, nur ein Nörgler.
Der Böse: Ich gebe auf, Du hast gewonnen.
Er: Du siehst es also ein.
Etwas überspitzt und rein fiktiv. Aber ich denke sowas in der Art kennt jeder von Euch. Aber ist Kunst wirklich reine Auslegungssache? Kann jeder entscheiden, ob etwas als Kunst gilt? Ich glaube nicht. Meiner Meinung nach gibt es Kriterien für Kunst. Es handelt sich um eine Wissenschaft, keine exakte wie die Mathematik, aber durchaus eine mit Regeln. Diese Regeln sind teilweise relativ einfach und beschreibbar, wie im Falle von Bildaufbau und Gestaltung. Aber teils sind sie auch sehr komplex, wenn es z.B. um die Deutung von Aussagen und die gesellschaftliche Einordnung geht. Es gibt nicht umsonst Menschen, die dafür bezahlt werden Kunstwerke einzuordnen und zu kritisieren. Es gibt Kunst in verschiedensten Facetten, viele davon verstehe ich nicht und kann ihnen auch nichts abgewinnen. Dass teilweise haarsträubende Preise für Bilder bezahlt werden, die aus augenscheinlichem Gekritzel bestehen, entzieht sich meinem Verstand. Das heisst aber noch lange nicht, dass man jedes eigene Bild zu einem Kunstwerk erheben kann, nur weil man sich als Regelbrecher bezeichnet und Kunst zur Angelegenheit des persönlichen Geschmacks macht. Ob etwas Kunst ist oder nicht, sollte man nicht selbst bestimmen. Kunst kann man studieren, es scheint also auch sowas wie ein Lehrplan zu existieren. Ein Plan beinhaltet auch Regeln und gefestigtes Wissen, das von einem breiten Teil der Bevölkerung akzeptiert gilt.
Der Großteil aller tagtäglich produzierten Bilder sind keine Kunst, sie sind lediglich dazu da, um einem Algorithmus zu bedienen. Irgendwer hat mal geschrieben, Du musst täglich ein Bild auf Facebook posten, um Deine User bei Laune zu halten. Welch Künstler produziert täglich ein neues Werk? Aber gut, es muss ja nicht immer Kunst sein. Der reine Spaß zählt durchaus. Es ist doch toll, dass wir unsere Erlebnisse mit unseren Freunden teilen können. Da ist der Moment und die Erinnerung wichtiger, als der künstlerische Wert, des Bildes. Also ist es auch für mich absolut ok, wenn tagtäglich hunderte Bilder in meiner Timeline auftauchen.
Sobald man sich aber mit Fotografie beschäftigt, eine eigene Seite gründet und seinem Namen das Wörtchen “Fotograf” anhängt, sollte man sich auch den Regeln der fotografischen Kunst unterwerfen oder sie zumindest bestens kennen. Die Künstler, die Regeln gekonnt brechen, können das nur machen, weil sie die Regeln aus dem Effeff beherrschen und sich darüber Gedanken gemacht haben, warum in diesem Fall ein Regelbruch Sinn macht. Wenn Ihr also privat täglich postet, ist das ok. Als Fotograf, der seine Werke präsentieren möchte und damit natürlich auch Reputation aufbauen will, ist weniger deutlich mehr. Täglich ein Bild zu posten ist einfach, die Füße still zu halten dagegen die hohe Kunst. Diesen Denkanstoß habe ich nicht nur an Euch geschrieben, sondern auch an mich selbst 🙂