Kurz vor Weihnachten 2016 kam ich mit der Valparaiso Express in Cartagena, Kolumbien an. Zuvor hatte ich wenig von der Karibikstadt gehört, mich lediglich ein klein wenig eingelesen. Aber im Grunde war es totales Neuland für mich. Vom Schiff runter zu kommen war gar nicht so einfach. Schließlich reiste ich ja nach Kolumbien ein und dementsprechend musste ich zur Einwanderungsbehörde. Die befindet sich aber nicht direkt am Terminal, sondern irgendwo in der Stadt. Vom Agenten und einem Beamten der Einwanderung wurde ich abgeholt und wir fuhren ins Büro der Behörde. Alles etwas ungewohnt, wenn man doch eher die standardisierten Verfahren an Flughäfen gewohnt ist. Mein größtes Problem dabei war, dass ich kein Wort Spanisch spreche.
Die Einreise verlief dann aber ohne Probleme und der Agent brachte mich anschließend ins Hotel. Ich nutzte die Chance und fragte nach einem Tipp für einen lokalen Guide. Wenn ich einen Ort zum ersten mal bereise, versuche ich mir irgendwie einen Guide zu organisieren. Keinen Touristenguide, sondern möglichst einen Einheimischen, der nicht so sehr darauf gepolt ist mir Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Die typischen Touristen-Hotspots findet man meist von alleine. Cartagena ist ein beliebtes Ziel in der Karibik, täglich legen hier Kreuzfahrtschiffe an und die Altstadt ist übervölkert von den Besuchern. Nichts gegen Kreuzfahrtreisende, aber es sind halt immer gleich ein paar hundert oder tausend Besucher, die auf einmal in eine Stadt einfallen. Daher mein wichtigster Tipp: sucht Euch einen lokalen Guide, der Euch abseits des Tourismus Land und Leute zeigt.
William ist Taxifahrer und er sprach zum Glück halbwegs gut Englisch. Für nur 100 Dollar wollte er mich den ganzen Tag herum fahren. Ich sagte ihm, dass ich das echte Leben suche, keine typischen Sehenswürdigkeiten, sondern den Alltag. Wir fuhren etwas aus der Stadt hinaus in eine Gegend, die sowohl nach Wohn- als auch Geschäftsgebiet aussah. Hier waren weit und breit nur Einheimische zu sehen und ich war froh William an meiner Seite zu haben. Obwohl ich versuche mich möglichst unauffällig zu kleiden, fiel ich dennoch auf. Na klar, man macht aus einem Deutschen nicht mal eben einen Kolumbianer. Auch war ich der einzige weit und breit mit einer Kamera.
Ich kam meiner Leidenschaft der Streetfotografie nach. Ich mag dabei sowohl die situative ungestellte Fotografie, die versucht einen Moment so festzuhalten, wie er gerade geschieht. Solche Bilder haben etwas echtes, einen realeren Ausschnitt des Lebens. Dazu habe ich auch vor einiger Zeit ein Streetfotografie Tutorial mit Thomas Leuthard und mir erstellt. Aber auch den direkten Kontakt mit den Menschen mag ich sehr gerne, sie ansprechen und um ein Foto bitten. Das ist zwar im Ergebnis vielleicht ein gestelltes Bild, aber Fotografie auf der Straße bedeutet mir mittlerweile mehr als nur das Foto zu machen. Ich will den Kontakt zu den Menschen, die kurze Kommunikation und seien es nur Blicke, die signalisieren, ob ich willkommen bin oder nicht. Eintauchen in das Leben auf der Straße bedeutet für mich ein Teil davon zu werden. Das kann ich nicht, wenn ich mit Abstand um die Menschen herum schleiche. Und ja, es ist eine große Herausforderung für mich die Leute anzusprechen. Die Fotos, die ich so bekomme, lösen jedoch eine gewisse Befriedigung in mir aus. Ich habe das Gefühl, dass mir dieser Moment geschenkt wurde und ich ihn mir nicht einfach genommen habe.
Wir fuhren weiter zu einem Markt. Dieser Markt ist täglich und besteht aus festen Buden. Enge Gassen ziehen sich an den einzelnen Ständen vorbei. Auch hier bin ich ein Exot und die Aufmerksamkeit der Anwesenden ist mir Gewiss. Es ist ein mulmiges Gefühl, wenn man offensichtlich angestarrt wird. Ich nutze diese Aufmerksamkeit, um zu meinen Fotos zu kommen. Die Gerüche wechseln ständig, an jeder Ecke wird gekocht. Ich bin da echt sensibel, wenn es um Gerüche geht und außerdem bin ich niemand der auf kulinarische Experimente steht.
Die ganze Zeit kralle ich meine Finger krampfhaft um meine Kamera. Ich fühle mich nicht unsicher, zumal ich von William begleitet werde, aber ich stelle mir vor, dass ich die ganze Zeit Klick Klick mit einem Gerät mache, das mehr gekostet hat als ein Kolumbianer im Durchschnitt pro Jahr verdient (ca. 6.100 $). Ich empfehle jedem auf Reisen möglichst unauffällig mit dem Equipment zu sein und zu kleinen handlichen Kameras zu greifen.
Wir fahren zu den Mangroven Sümpfen am Stadtrand von Cartagena und machen eine kleine Tour mit einem Einbaum. Fischer stehen hier im Wasser und versuchen Fische mit einer Art Lanze zu fangen. Hier hätte ich mir dann doch mal eine etwas längere Brennweite gewünscht, dabei hatte ich nur ein 75er. Ich lehne mich zurück und geniesse die Fahrt einfach. Die Sonne steht nun auch relativ hoch und das Licht lädt nicht gerade zum Fotografieren ein. Mein Tipp an der Stelle: Geht vor allem früh morgens und abends los um dort zu fotografieren, wo das Licht die Stimmung stark beeinflußt. Markante Aussichtsplätze mit toller Panoramasicht suche ich eher zum Sonnenuntergang auf. Streetfotografie kann ich auch ganz gut tagsüber machen. Aber auch mal die Kamera wegzulegen gehört dazu. Nehmt Euch auch mal Zeit die Momente zu geniessen und seit nicht ständig auf der Jagd.
So langsam geht der Tag mit William zu Ende und ich bin auch ziemlich platt. Nun wünsche ich mir eine schöne Bar mit Blick aufs Meer um dort ein kühles Bier zu zischen. Ich sage William, dass ich ihn auf einen Drink einladen möchte und er zu einer schönen Strandbar fahren soll. Er fährt, aber es kommt mir etwas spanisch vor, dass wir uns eher von der Küste entfernen und wieder in Richtung Stadt fahren. Er wird schon wissen, was er macht. Kurze Zeit später sind wir in einer Wohngegend und stehen vor einem Wohnhaus. Ich schaue ihn fragend an. Er gibt mir zu verstehen, dass es ganz normal sei in Cartagena, dass die Bars in Privathäusern sind. Okayyyyy. Ich fange an zu zweifeln. Aber ich will ja schließlich das einheimische Leben kennenlernen. Na gut, das schaue ich mir an. Er klopft an die Tür. Na klar, eine Bar wo man anklopfen muss? Spätestens als mir eine barbusige und leicht bekleidete Dame gegenüber steht, ist mir klar in welcher Art Etablissement wir uns befinden. Ich schaue William an. Ich wollte doch nur ein Bier mit Aussicht. Er meint wir können hier auch nur ein Bier trinken. Bestellt es und kurze Zeit später sitzt mir die Aussicht in Form von sieben leicht bekleideten Damen gegenüber, die mich alle auffordernd anlächeln. Das ist zu viel für mich und vorbereitet war ich darauf schon mal gar nicht. Dazu sind wir die einzigen in dem ganzen Laden. Und dann verschwindet William auch noch und lässt mich alleine mit den Damen. In solchen Situationen zeigt sich wer die ganz coole Sau ist. Ich bin es nicht. Zum Glück taucht William wieder auf und ich gebe ihm unmissverständlich zu verstehen, dass wir jetzt wieder gehen.
Ich bin platt, es war ein langer Tag. Es war großartig mit William, er hat mir ein Stück echtes Leben von Cartagena gezeigt. Das Ende hatte ich mir anders vorgestellt, aber er wollte mir wirklich nur etwas Gutes tun.
Die nächsten Tage ziehe ich alleine los. Ich hatte mir ein paar Tipps geholt. Es gibt tolle weiße Karibikstrände in Cartagena. Mich zieht es jedoch zum Bocagrande, dem Strand der Einheimischen. Es ist der erste Weihnachtsfeiertag und die Kolumbianer zieht es ebenfalls an den Strand. Ich fühle mich ein wenig auf den Spuren von Martin Paar als ich das Treiben am Strand beobachte und fotografiere. Aber am Strand ist es anstrengend. Kaum ein paar Meter kann ich gehen ohne angequatscht zu werden. Obst, Massage, Drinks, Hüte, Sonnenbrillen, es ist ein Spießrutenlauf. Irgendwie fühle ich mich in die siebziger Jahre zurück versetzt als es üblich war, dass wir die Sommerferien in Italien verbracht haben und tagtäglich unser Lager am Strand aufgeschlagen haben.
Am Abend habe ich genug einheimische Eindrücke gesammelt. Zwar gehe ich sehr gerne alleine los um zu fotografieren, aber abends mag ich dann doch gerne Gesellschaft. Nur wenige Meter neben meinem Hotel ist ein Bayrisches Restaurant, geführt von einem deutschen Auswanderer. Es tut ganz gut sich mal wieder verständigen zu können. Der Besitzer gibt mir einige weitere wertvolle Tipps für die nächsten Tage und ich lasse den Tag bei Schnitzel und Weizenbier ausklingen.
Erinnert mich an die achtziger Zeiten mit deinen Report der Geschichte und der Nikon Kamera. Ich hätte die Tanten von der Bar, die Wäsche und Ihr Arbeitsplatz zeigen um es zu fotografieren. Die auch dort wohnen?
Grandiose Fotostrecke und einen lebendigen Einblick in den Alltag Cartagenas. Vielen Dank!
Wow, mega Bilder! Mag ich total!
Sehr coole Bilderstrecke! Und bin etwas neidisch. Würde auch zu gerne das Glück haben solche Touren machen zu dürfen.
Deine Texte werden immer besser! Danke Paddy! (Deine Bilder sind es natürlich eh schon!)
Wo sind die Bilder von den sieben “Damen”? 😉
Sehr coole Bilder! Ich mag Weitwinkel + Unschärfe sowie die Bearbeitung.
Voll krasse Bilder! So viel, wie du unterwegs bist, wäre ein Spanisch-Kurs doch echt nicht schlecht 😉
Na guck, der Wolle Joop im Strandstuhl!
Das Bild mit den Damen fehlt. Der Rest ist schön wie immer. Und Wolle hast Du auch noch getroffen. 😉
Viele Grüße
Thorsten
Top! Danke für den Bericht und die genialen Bilder!
Großartig, vielen Dank für diesen Einblick!
Sehr coole Bilder! Mit welcher Kamera hast du denn fotografiert?
Schon wieder super Bilder, tolle Sujets.
danke und viele Grüsse bis in Radolfzell
“Bier mit Aussicht” .… 😀 😀 😀 Klasse Artikel, mal wieder. Gruß aus Saarbrücken, Michael
Grandiose Bilder, vielen Dank dafür !!!
objektiv, kamera…(leica?) wären interessante details. danke!
Mir gefällt, dass du Street in Farbe machst. Tolle Strecke, einfühlsamer Bericht. Vielen Dank für’s Mitnehmen.
Warum wollen immer alle das Equipment wissen. Die Kamera ist doch total nebensächlich.
Schöne Bilder in eine lustige Story. Ich freu mich schon auf weitere Reiseberichte von Dir.
Schöne Grüße
Sören
Sehr interessant, weil hier die Geschichte zu den Bildern erzählt wird. Damit erhält man einen anderen Eindruck. Schade, dass Gerüche noch nicht eingefangen und über das Internet vermittelt werden können. Deine Reiseberichte werden immer besser.
Wunderbarer Blogbeitrag mit tollen Bilder und lebhaftem Schreibstil- danke!
Einfach alles vom Feinsten, da kommt Freude auf. Mach weiter so!
Grüße aus Kölle
Ronald
Schöner Artikel und tolle Bilder!
Einfach klasse… in diese Richtung würde ich mich auch gerne entwickeln …
Wem die Bilder gefallen, der sollte unbedingt das Buch “Treffpunkt Cafe ‘Fruchtpalast’. Erlebnisse in Kolumbien” lesen. Ist schon ein paar Tage her, aber trotzdem eine Freude und mit den aktuellen Bildern, da komme ich echt ins schwärmen.
Hi Paddy, bin lange nicht mehr bei Dir auf Deiner Seite gewesen. Früher wegen der technischen Artikel und Interviews. Bin total beeindruckt und begeistert von Deinen Fotos jetzt, sowohl Porträt als auch Street…Wow! Hier will ich wieder häufiger sein. Diesmal nur noch wegen der Fotos. Ganz tolle und bewegende Bilder hier von Kuba. Danke fürs zeigen. LG Oliver