Wir hatten vor einiger Zeit einen Wasserschaden. Ärgerliche Geschichte, aber immerhin wurde der Keller mal richtig durchgewischt. Ist nun schön sauber. Das führte auch dazu, dass wir mal ausgemistet haben. Alle Kartons wurden durchforstet und vieles ist dabei in den Mülleimer gewandert. Dabei sind mir auch alte Fotos in die Finger gekommen. Mein Gott, ich bin mal Marathon gelaufen und davon gibt es sogar ein Beweisfoto. Das interessiert niemanden, ist aber eine schöne Erinnerung. Wir haben einen ganzen Stapel alter Fotos gefunden, fotografisch eher anspruchslos, aber persönliche Erinnerungen.
Ich treffe immer wieder auf Menschen, die sich nicht gerne fotografieren lassen. Das kann ich durchaus verstehen. Das andere Extrem von Menschen, die täglich Selfies posten finde ich da auch gestörter. Auch ich lasse mich nicht so gerne fotografieren. Aber dann denke ich mir, wie es wäre, wenn es von mir keine Bilder aus den letzten 10 Jahren geben würde? Die ganzen Aufs und Abs, mal rank und schlank, dann wieder fett wie eine Qualle. Ich bin der wandelnde Jojo-Effekt. Und klar neige ich auch eher dazu mich fotografieren zu lassen, wenn ich ausnahmsweise mal halbwegs zufrieden mit meinem Äußeren bin. Dennoch gehört das ja alles irgendwie zu meinem Leben. Stellt Euch vor, jemand in Eurem nahen Umfeld stirbt und es gibt kein Foto von der Person. Nichts was hilft die Erinnerung aufrecht zu halten. Boah, der Gedanke ist irgendwie schlimm. Ich erinnere mich gerne, denn meistens bleiben eher die schönen Erlebnisse in Erinnerung. Wir haben es ganz gut drauf den ganzen Scheiß irgendwann zu verdrängen. In dem Moment, wo jemand ein Foto von mir macht und es mir zeigt, fängt mein erste Gedanke meistens mit “Oh mein Gott …” an. Aber wenn ich dann so eine alte Kiste im Keller finde, freue ich mich über jede Erinnerung. Meine Frau hat letztens ein Foto gefunden, das vor unserer Zeit entstanden ist. Da posiere ich sogar nackt vor der Kamera “Oh mein Gott …”. Mir war das so peinlich, aber irgendwie war es auch superlustig. Ich wollte das Foto vernichten, aber meine Frau hat es unter Verschluß genommen. Nein, fragt gar nicht erst danach 😉
Ich möchte das als Anlass nehmen kurz über meinen Freund Alex zu reden. Alex führt ein halbwegs normales Familienleben, ist verheiratet und hat drei Kinder. Häuschen irgendwo in der Pampa und ein gutes Auskommen. Er fotografiert gerne und ebenso wie ich gibt er auch gerne Geld für Fotoequipment aus. Alex hat aber keine Facebookseite “Alex Photography” oder ähnliches. Er hat keinen Account bei irgendwelchen Fotozeigewebseiten. Er hat lediglich einen Instagram-Account und den nimmt er nur, um alle Bilder zu sammeln und einfach mit sich rumtragen zu können. Alex fotografiert zu 90% seine Familie. Die Motive interessieren nur einen kleinen Kreis von Menschen, er hat kaum Follower (Schnief) und bekommt wenig Likes. Die Hochzeitsbilder sind auch Erinnerungen an eine Hochzeit von Freunden. Er ist der, der seine Kamera überall mit hin schleppt. Wenn Ihr Euch mal seine Familienbilder anschaut, dann frage ich Euch wieviele Menschen ihr kennt, die regelmäßig Bilder von der Familie in der Qualität machen? Ich finde es sind richtig geile Bilder aus seinem Leben. Alex ist kein Fotograf, hat auch keine Ambitionen dort irgendwie zu Ruhm und Ehre zu kommen, ist sehr bescheiden, wenn es um seine Fotos geht. Er wird es auch nicht mögen, dass ich hier darüber spreche. Ist mir aber jetzt egal, denn sein Account ist ja öffentlich 😉 Ich finde das ist das Herz von Fotografie. Erinnerungen schaffen. Denkt mal zehn oder zwanzig Jahre weiter und stellt Euch vor dann Bilder von der Familie in der Qualität zu haben? Likes und Follower egal, nur die Erinnerung. Ich bekomme Gänsehaut bei dem Gedanken.
Fotografieren schafft Erinnerungen, daran sollte man von Zeit zu Zeit denken. Vor allem wenn es darum geht, sich selbst fotografieren zu lassen. Auf Hochzeiten weichen Gäste auch manchmal der Kamera aus. Die sind dann später quasi nicht auf der Hochzeit gewesen, wenn man die Bilder durchschaut. Klar versuchst Du als Fotograf so viele Gäste wie möglich einzufangen, aber wenn jemand nicht möchte, ist es halt schwierig. Stellt Euch doch mal die Frage welche Eurer Fotos in zehn Jahren noch Bestand und persönlichen Wert haben? Ich glaube nicht, dass es die halbnackten Mädels in unaufgeräumten Küchen sind, auch wenn ich mir die gerne anschaue. Manche sagen, man soll nicht zurück blicken und für den Augenblick leben. Ich selbst muss auch nicht in Erinnerungen an mich selbst schwelgen, es sind die Erinnerungen an Menschen, die mein Leben begleitet haben und an gemeinsame Erlebnisse. Diese Fotos sind für mich auf lange Sicht wertvoller als alle anderen Bilder, die ich je mache. Ich finde das ist Fotografie.
Leider werden durch die Massenproduktion die Fotos heutzutage nicht mehr so wertvoll wie die von früher, da alle zig Fotos zu jeder Tages- & Nachtzeit mit ihren Smartphone machen können…
Stimmt! Fotos sind Erinnerungen… und meistens an gute Erinnerungen.
Dabei spielt die Qualität der Fotos gar nicht mal die entscheidende Rolle.
Facebook hat das auch erkannt… wie es ihre immer wiederkehrenden kleinen Erinnerungsaktionen zeigen.
Der Begriff wertvoll wandelt sich. Ich besitze eine gutsortierte Fotosammlung. Diese ist wertvoller als der 20k Bilderhaufen in der Sicherung meines Smartphones. Bilder haben viele, diese aber finden und nutzen können nur die wenigsten.
Alex hat eigentlich viel mehr Follower verdient, also so manch anderer. Er macht Fotos aus dem echten Leben. Halbnackte Mädels in unaufgeräumten Küchen sind definitiv schön, aber authentisch?
Was gibt es schöneres, als das Leben der eigenen Familie zu dokumentieren? Egal, ob es nun in den Social Media Kanälen geteilt wird oder nicht. Die Erinnerung ist viel mehr wert, als ein “paar” Likes auf Facebook oder Instagram.
Paddy, du triffst es mal wieder auf den Punkt! Danke.
Ein klares Pledulie. Ich fühle mich ertappt bei deinen Gedanken. Gerade die Fotos zusammen mit seiner Frau sind doch die Fotos die Erinnerung und Liebe zeigt.
Schon 1 Jahr ohne gemeinsames Foto wäre, als würde dieses Jahr nicht existieren.
Mehr unperfekte “oh mein Gott” Fotos von sich und seiner Familie statt glattgebügelte Bilder von anderen.
Prost
Ist ein Foto nicht dann erst wertvoll, wen man es in Händen halten kann? Diese Digitalitis ist ja nett - aber so wenig wertbeständig, will ich meinen.
Ist mir persönlich ein Foto wertvoll, dann wird es gedruckt - und wenn “nur” klein … jetzt wo ich selbst Enkel habe genieße ich die alten Aufnahmen meiner kleinen Kinder von damals … ich glaub, ich werde alt. Na und?
Du sprichst mir aus der Seele! Ganz alte persönliche Fotos, Ende 40er Jahre, Anfang 50er Jahre, schwarz/weiß, 6x9 Rollfilm mit einer Afa-Box fotografiert, Abzüge mit Büttenrand, manche etwas unscharf - einfach nur super. Interessiert natürlich niemanden. Nur meine Kinder und Enkel lachen und haben Spaß an den alten Fotos vom Opa. Warum tausche ich morgen bei Calumet meine Nikon 7000 in die neue Nikon 7500 um? Sollte ich nicht lieber mal wieder meine gute alte Agfa-Box hervorholen? Einfach nur zum Spaß!
Ich fotografiere nur hobbymässig und hauptsächlich für mich selbst. Der Erinnerungswert der Fotos ist auch für mich das höchste Gut meiner Sammlung. Klar freue ich mich, wenn mir zur Abwechslung mal ein wirklich gutes Foto gelingt. Am wichtigsten sind mir aber stets die Fotos, mit denen ich etwas persönliches verbinde; sei es jetzt die abgebildete Person, eine besuchte location oder, oder, oder. Ich schreibe kein Tagebuch, aber anhand meiner Fotosammlung kann ich mich doch glücklicherweise an viel ” Gewesenes” meines Lebens erinnern.
Hi Paddy,
ich sehe das genauso wie du. Vor zwei Monaten hatte ich eine Fotokiste meines Großvaters mit lauter Filmstreifen digitalisieren lassen und der Familie zur Verfügung gestellt. Das sind über 60 Jahre Familien- und Urlaubsbilder. Mit meinen Eltern und meiner Frau haben wir uns einen sehr langen Abend die Fotos angeschaut und viel gelacht und gestaunt. Die meisten der Fotos hatte ich noch nie gesehen.
Über mich bei Flickr:
Heute fotografieren oder filmen, was morgen gestern war.
Morgen fotografieren oder filmen, was morgen heute ist.
Seit ca. 20 Jahren *knipse* ich digital. Wenn meine Freunde und ich unterwegs waren durfte die Kamera nie fehlen. Es hat Sie immer genervt daß ich sie fotografiert habe. Qualitativ sind die Fotos der ersten Jahre mit 1,2 Millionen Pixel eine Katastrophe. Nach all den Jahren sind die Fotos jedoch eine tolle Erinnerung an die schönen Sommer, Festivals und Partys die wir miteinander verbracht haben und wir haben immer viel Spaß dabei uns die alten Fotos anzuschauen, trotz der eher schlechten Qualität der ersten Digitalkameras.
Wunderbarer Beitrag! Danke.
Die Fotos von den ” halbnackten Mädels in unaufgeräumten Küchen ” sind in 20 Jahren (hoffentlich) für die halbnackten Mädels eine schöne Erinnerung 🙂
Hi , Paddy, da redest du mir jetzt aber ins gewissen. Ich fotografiere Familie leider fast überhaupt nicht (meine Frau mag es nicht gern wenn ich Sie ablichte und ich mag mich überhaupt nicht auf Fotos sehen ) und schon verläuft die ganze Sache dabei so im Sand.
Das ist ein schöner Artikel über deinen Freund und alte Fotos im Karton der auch bei mir auf den Dachboden steht und man nur mal einen Blick reinwirft wenn man dort mal etwas ablegen muss.
Vielleicht krame ich am Wochenende den ganzen Krempel mal raus und schaue mal drauf was denn alles so in meinem und in anderen Leben so passiert ist.
Da sind eine Menge SW Fotos dabei aus alten Zeiten meiner Eltern die natürlich eine schönen Erinnerungswert haben.
Gruß Klaus
Dem ganzen ist nichts hinzuzufügen!
Ein wunderbarer Beitrag!
Besten Dank dafür!
BG
Günter
Hey, geiler Blog Eintrag. Und ich war gerade auf Alex seiner Seite, die Fotos sind ja wohl Knaller. Und welche Kamera…? 😉
Als regionales Studio hat man oft damit zu tun, dass die Angehörigen für eine Beerdigung ein Bild brauchen, was auf dem Friedhof neben der Urne/Sarg stehen soll. Da kommen dann Passbilder als einzige vorzeigbare Erinnerung auf den Tisch - mir tut das immer in der Seele leid - dann gibt es aber oft auch die älteren Menschen, die genau das nicht wollen. Die kommen tatsächlich ins Studio “Ich möchte ein Bild für meine Beerdigung haben” - einerseits alles richtig gemacht andererseits … #Gänsehaut - Genießt den Moment, in dem ihr lebt, die Zeit geht so schnell rum “Augenblicke für die Ewigkeit” - so mein Slogan - doch das sind die Momente, wo es schlagartig klar wird, dass ein Bild eine Erinnerung an einen geliebten Menschen wird, wenn er nicht mehr da ist. DANKE Paddy für diesen persönlichen Beitrag - und überhaupt - DANKE!
Hallo Paddy,
was Du schreibst ist definitiv richtig. Mein Vater hat seit seiner Jugend fotografiert und die besten Fotos in Alben geklebt. Es ist ein wahre Freude darin zu blättern. Ich habe dann vor ein paar Jahren seine Diasammlung digitalisiert und darau Fotobücher gemacht. Auch herrlich. Ich selbst mache jedes Jahr 2 Fotobücher aus unseren Urlauben und ein Jahres Familienbuch. Das ist immer eine Freude darin zu blättern. Hinzu kommen die diveresen Geburtstags und Eventbücher, die sich angesammelt haben.
So schön. Kann ich nur jedem empfehlen. Und mancher, der erst nicht fotografiert werden wollte kam nach Ansicht eines Buchs, dann doch auf den Geschmack.
Gruß
Andreas
Bei aller Zustimmung zum inhaltlichen, bin ich mit einer “Einschränkung” nicht ganz einverstanden: Warum sollte nur Dokumentation bzw. Reportage (“echte”/“richtige”) Fotografie sein? Inszenierte Fotografie ist mindestens genau so faszinierend, künstlerische ebenfalls. Der einzige Unterschied ist, dass einem meistens die persönliche emotionale Komponente, der emotionale Bezug fehlt. Das ist aber auch schon alles, andererseits natürlich eine völlig ausreichende Rechtfertigung dafür, wenn einem technisch/gestalterisch schwache (Erinnerungs-)Fotos gefallen.
Lieber Paddy, einem Hobbyfotografen “Chronograph” der Familie aus der Seele gesprochen. Alex kommt auf seinem account sehr sympathisch rüber. Tolles Auge für den Moment, super Portraits knackige Schnappschüsse und Lebensfreude dahinter. Lieben Gruss. Nur wie schafft er bloss die Auswahl? Grosses Kompliment. Ich verschlagworte meine komplette Sammlung sehr aufwendig, um immer mal wieder quer bzw thematisch zu stöbern. Wenn ich auch mal wieder alte Schatztruhen gescannt habe und in die Sammlung eingebunden habe, ist es sehr kurzweilig, eine kleine Zeitreise zu den Fundstücken (Opa, alte Reisen, Freunde von anno dun) anzuschauen. Manchmal gibt es daraus ein kleines Buch oder eine Diashow. Super. Und die Menschen, die am wenigsten fotografiert werden wollen, freuen sich am meisten über alte Fundstücke von ihnen. Lustig. Mir sind die Erinnerungen sehr wichtig, besonders die fotografischen, da ich einfach über die Optik funktioniere. Ich denke dass es vielen Menschen so geht, aber wenige sich die Zeit und Mühe für so ein Hobby nehmen. Jedenfalls Danke und Lieben Gruss, Katja
Dieser Beitrag spricht mich sehr an. Meist sind es Veränderungen im Leben, die die Bedeutung von Erinnerungsfotos deutlich machen und wenn es nur ein Wasserschaden ist. Ich fand vor Jahren Fotoalben meines Großvaters. Sehr interessant, wenn man da 100 Jahre zurückblicken kann und interessant sind da eigentlich nur die Menschenfotos.
Hallo Paddy,
Deinem Beitrag ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Nachdem Du für Deinen Freund Alex so geworben hast, habe ich mir seine Arbeiten bei Instagram angesehen. Sicherlich sind Geschmäcker verschieden und das ist auch gut so aber ich finde seine Art, Fotos zu machen, großartig.
Wenn er sich mit seiner Frau und den Kindern in sagen wir mal 20 Jahren diese Bilder ansieht sind die vielen schönen Erinnerungen sofort präsent und das ist unbezahlbar.
mfG Frank
Kürzlich rief mich eine Braut aus dem Jahr 2015 an und hat sich nochmal ausgiebig für meine Hochzeitsfotos bedankt. Das hat sie zwar damals schon kurz nach ihrer Hochzeit, jedoch sind die Fotos heute noch von viel größerer Bedeutung als vor zwei Jahren. Der Grund ist leider alles andere als schön! Ihr Mann ist kurz nach der Hochzeit an Alzheimer erkrankt und kann sich nur noch anhand meiner Fotos an die Hochzeit und einige Details von damals erinnern. Und das mit Ende 30. Was für eine Sch***e!
Ich bin absolut Deiner Meinung…auch mir ging es neulich wieder so…alte, teilweise vergilbte und unscharfe Fotos von vor 30 Jahren.….man was hatten wir einen Spaß bei den ganzen Erinnerungen!!!
Wahre Worte gelassen ausgesprochen wie man im Pott sagt.
Daumen hoch…auch wenn der “like” egal ist ;-).…..Dein bester Beitrag seit langem…wie ich finde!