Die schönste Location wird irgendwann langweilig

Seit 2010 bin ich nun in mei­nem Stu­dio. Es ist wirk­lich schön und ich füh­le mich dort rich­tig wohl. Wir nut­zen es für Video­drehs, Work­shops, Foto­shoo­tings und die ein oder ande­re Par­ty. Ich weiß nicht, wie­vie­le Shoo­tings ich dort bereits gemacht habe. Obwohl ich immer wie­der ver­su­che ein wenig umzu­ge­stal­ten, habe ich aber lang­sam das Gefühl jede noch so win­zi­ge Ecke des Stu­di­os abfo­to­gra­fiert zu haben.

Vor kur­zem traf ich mich mit Jes­si­ca zu einem frei­en Shoo­ting. Die neue Kame­ra muss­te mal ein­ge­rit­ten wer­den. Plötz­lich stand ich da mit­ten in dem schö­nen Stu­dio und es fiel mir nichts ein. Bei frei­en und Test-Shoo­tings möch­te ich ger­ne Bil­der machen, die ich bis­her so noch nicht gemacht habe. Ich ver­su­che mein Port­fo­lio zu erwei­tern und vor allem auch mei­ne Krea­ti­vi­tät her­aus­zu­for­dern. Aber selbst die schöns­te Loca­ti­on wird irgend­wann lang­wei­lig. Genau das ist die Chall­enge, immer wie­der aufs neue krea­tiv zu sein, obwohl man das Gefühl hat, es geht nichts mehr.

Wir haben gemein­sam über­legt, ich frag­te Jes­si­ca, was sie machen wür­de. So ziem­lich jede Idee hat­te ich irgend­wann schon umge­setzt. Frus­trie­rend. Dann fin­gen wir ein­fach an. Erst mal die offen­sicht­li­chen Din­ge aus­las­sen. Die typi­schen Hin­ter­grund­wän­de igno­rie­ren und die Loca­ti­on als gan­zes ein­be­zie­hen. Minu­ten­lan­ges über­le­gen. Mal sehen, ob sich aus der Küche noch etwas her­aus­quet­schen lässt. Und dann war es plötz­lich da. Ein für mich neu­es Bild bei dem die The­ke eine Linie bil­det, die auf Jes­si­ca zeigt. Egal, ob Ihr das Bild gut fin­det, für mich war es ein Fest. So lan­ge pro­bie­ren, bis man etwas fin­det, das einem gefällt und neu ist. Man darf nicht auf­ge­ben und dann fin­det sich irgend­wann doch eine Idee. Es sieht immer so ein­fach aus, wenn man nur die fer­ti­gen Bil­der sieht. Manch einer denkt, dass die Bil­der nur so aus der Kame­ra pur­zeln. An man­chen Tagen ist das so, aber manch­mal ist es auch har­te Arbeit. Ich glau­be aber, dass man sich Krea­ti­vi­tät erar­bei­ten kann. Genau hin gucken und vie­le Test­fo­tos machen. Die schlech­ten Fotos sind die Brot­kru­men, die den Pfad zum guten Foto bil­den. Man darf sich nicht dar­über ärgern, son­dern muss sie als Teil des Pro­zes­ses anse­hen. Ich stel­le mir immer wie­der die Fra­ge, war­um mir ein Bild nicht gefällt und was ich ändern kann.

Man kann auf unter­schied­lichs­te Arten krea­tiv sein. Es kann die Loca­ti­on sein, das Licht, das Model, das Out­fit, der Aus­druck, die Pose, der Bild­schnitt, die Per­spek­ti­ve und manch­mal ist es nur ein win­zi­ger, aber beson­de­rer Moment zwi­schen Foto­graf und Model, der das Bild WOW wer­den lässt. Ich mag Bil­der, die Raum haben, die Loca­ti­on ein­be­zie­hen und Platz für Kopf­ki­no las­sen. Aber da wird jeder einen ande­ren Geschmack haben. Am Ende ist es eine Kom­bi­na­ti­on aus ver­schie­de­nen Elementen.

“Lass uns doch mal das Sofa umkip­pen”, mein­te Jess. Ich schau­te sie ungläu­big an. Was war das denn jetzt für eine Ver­zweif­lungs­tat? Wenn nichts mehr geht, schmei­ßen wir halt alle Möbel über den Hau­fen. Aber gut, wenn man selbst kei­ne bes­se­re Idee hat, dann lässt man sich dar­auf ein. Ein biss­chen Kitsch muss sein. Ich hat­te seit Ewig­kei­ten einen Gobo mit Toten­kopf für mei­ne Dedo­lights. So rich­tig kam der aber nie zum Ein­satz, weil es ein­fach zu kli­schee­haft war. Wir spie­len ja nur, also ran mit dem Ding an die Wand. Dann zau­ber­te Jes­si­ca noch einen Body mit Ske­lett­auf­druck aus ihrer Tasche. Ein Body, den ich als Ein­zel­stück wohl eher nicht ver­wen­det hät­te. Sieht doch ein wenig nach Hal­lo­ween-Kos­tüm aus. War­um nicht. Der Toten­kopf mit dem Body ergab ein wei­te­res Bild. Ich fand es mega. Ob das lan­ge Bestand hat, muss ich sehen. Man­che Bil­der fin­de ich im ers­ten Moment total cool und eini­ge Zeit spä­ter eher lächer­lich. Aber das ist Teil des Pro­zes­ses, Teil der Krea­ti­vi­tät und jedes die­ser Bil­der prägt mich ein klein wenig. Man­che sind Ein­tags­flie­gen, ande­re neh­men Ein­fluss auf den eige­nen Stil. Man­che Bil­der gefal­len mir auch erst nach län­ge­rer Betrachtung.

Ich wer­de häu­fig gefragt, wo ich Ideen her neh­me, wie ich mich inspi­rie­re, wie ich krea­tiv bin. Ich wür­de ger­ne sagen, dass mir das alles so zufliegt und Mil­lio­nen von Ideen in mei­nem Kopf schwir­ren. Manch­mal ist das so, aber oft ist es auch ein­fach nur har­te Arbeit. Ich ver­su­che gelern­te Din­ge über den Hau­fen zu wer­fen und die offen­sicht­li­chen Ideen zu igno­rie­ren. Der ers­te Gedan­ke ist meis­tens sehr simp­le und nahe­lie­gend, der zwei­te auch. Die Fotos muss ich dann nicht machen. Ich zwin­ge mich zu einer drit­ten Idee. Dafür schlei­che ich wie ein Löwe um mei­ne Beu­te und begut­ach­te sie aus jeder Posi­ti­on. Wo bei­ße ich zu? Vie­le wür­den sich das Filet­stück neh­men, aber ich will auch das ver­wer­ten, was ande­re lie­gen las­sen wür­den. OK, haha, jetzt geht gera­de die Fan­ta­sie mit mir durch. Ich lau­fe Gefahr Schel­te zu bezie­hen, weil ich das Model als Beu­te bezeich­ne. Seht mir die Meta­pher nach.

Hey, Ihr ver­steht was ich mei­ne. Ich las­se Euch jetzt mit dem Gedan­ken allei­ne. Was ist Eure Mei­nung dazu? Wie bleibt Ihr kreativ?

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11 Gedanken zu „Die schönste Location wird irgendwann langweilig“

  1. Hm… Das ist eine gute Fra­ge, wie bleibt man krea­tiv? Mir fal­len da gera­de zwei Din­ge ein:

    1. Ein­schrän­kung: Ganz bewusst mit mini­ma­lis­ti­scher Aus­rüs­tung los­zie­hen und Fotos machen.

    2. Das Gegen­teil tun: Ich hab eini­ge Jah­re lang haupt­säch­lich Land­schaft foto­gra­fiert, schön weit­wink­lig und so. Jetzt mache ich Makro­fo­to­gra­fie. Ob man über­tra­gen kann, wenn man Men­schen foto­gra­fiert? Kei­ne Ahnung.. Sag du’s mir 😉

    Vie­le Grüße

    Phil­ipp

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  2. Lie­ber Paddy,
    bis­her hast Du oft schwarz weiß für Fotos und in Dei­nen Schu­lungs­vi­de­os bevor­zugt. Mit Far­be erge­ben sich neue Mög­lich­kei­ten. Dabei las­sen sich durch die Kom­bi­na­ti­on und Inten­si­tät bzw. far­bi­ge Acces­soires vie­le Vari­an­ten vom SW-Foto
    erzeugen.

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  3. Hal­lo Paddy,
    ist es ein Phä­no­men der augen­blick­li­chen Gesamt­la­ge, dass man zu zwei­feln beginnt und nach neu­en Her­aus­for­de­run­gen strebt? Grund­wer­te schei­nen in Fra­ge gestellt zu wer­den, wen wun­dert es, dass es auf einen per­sön­lich abzu­fär­ben droht?
    Die Kunst­ge­schich­te hat vie­le Bei­spie­le für Künst­ler, die sich und ihr Tun in Fra­ge gestellt haben und neue Wege haben suchen 8und auch fin­den) lassen.
    Mir fällt als Bei­pi­el ein, dass man­che Maler z.B. eine blaue Pha­se hat­ten, hast du evtl. auch mal dar­an gedacht, dei­ne Bil­der mono­chrom und nicht S/W ein­zu­fär­ben? Ist nur ein klei­ner Tipp, viel­leicht öff­net er dir ja neue Wege?
    Gruß Michael

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  4. Super Arti­kel! Vor allem weil er Mut macht.
    Weil er mir zeigt dass auch Leu­te dei­ner Klas­se sich nicht alles ein­fach so aus dem Ärmel schüt­teln kön­nen. Dass du auch immer wie­der suchen musst, ver­su­chen musst die glei­che Loca­ti­on mal mit ande­ren Augen zu sehen, bewähr­tes mal über den Hau­fen wer­fen und Stel­lun­gen wech­seln. Das hilft einem selbst wenn man mal wie­der denkt dass einem nichts ein­fällt und nur ande­re immer die tol­len Ideen und Ein­fäl­le haben.
    Dan­ke für die­sen Text und auch für Vide­os wie “Ugly Loca­ti­on, Bad Light – Chall­enge” und “Wie ich Pär­chen foto­gra­fie­re” auf die das glei­che zutrifft.
    Gruß Nikolaus

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  5. Es stimmt. Das Schöns­te (Die Sey­chel­len) wer­den auch nach einem hal­ben Jahr zur Nor­ma­li­tät. Machen wir uns nichts vor: Der Mensch gewöhnt sich an die Din­ge und alles wird irgend­wie selbst­ver­ständ­lich. Man muss jeden Tag und mit jeder Foto-Loca­ti­on eine neue Bezie­hung auf­bau­en und sie für immer im Her­zen behalten. 🙂

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  6. War­um kommt mir das bekannt vor?

    Seit ca. 6 Jah­ren foto­gra­fie­re ich ernst­haft und mei­ne Schwer­punk­te sind Land­schaf­ten und Natur. Nur seit eini­ger Zeit woll­te es nicht mehr so recht lau­fen, fühl­te mich ideen­los und gelang­weilt. Der abso­lu­te Tief­punkt war, als ich vor 2 Wochen bei einer Schnee­schuh­wan­de­rung in herr­li­cher, alpi­ner Win­ter­ku­lis­se die D750 sogar im Ruck­sack ließ!

    Ich rede­te mit einem Freund, der mich damals zur ern­staf­ten Foto­gra­fie brach­te. Wir ver­ab­re­de­ten uns nachts zu einem unge­zwun­ge­nen Shoo­ting in naher Alt­stadt­la­ge und foto­gra­fier­ten getreu dem Mot­to: “Haupt­sa­che Stadt und Archi­tek­tur, die Moti­ve mög­lichst eigen­wil­lig und düs­ter, Post­kar­ten­mo­ti­ve ver­mei­den!” Fazit: Ich habe lan­ge nicht mehr so viel Spaß am Foto­gra­fie­ren gehabt! Und so erkann­te ich mein “Pro­blem”: Ich war der Land­schafts­fo­to­gra­fie über­drüs­sig gewor­den. Ein simp­ler Motiv­wech­sel bewirk­te, dass Freu­de und Krea­ti­vi­tät wie­der zurück kehrten!

    LG aus IBK

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  7. Super Arti­kel, das The­ma kommt mir sehr bekannt vor. Krea­ti­vi­tät ist für mich das Los­las­sen vom Nahe­lie­gen­den. Neue Ideen kom­men mir immer dann, wenn ich an etwas ganz ande­res den­ke. Kann durch­aus stö­rend sein 😉
    Wenn mir zu einem The­ma nichts mehr ein­fällt, kommt durch Hart­nä­ckig­keit meist nichts Geschei­tes bei raus. Manch­mal hilft es, ein­fach etwas ganz ande­res zu machen, man kommt auf ande­re Gedan­ken und plötz­lich auch auf neue Ideen. Dei­ne Fotos sind wohl der bes­te Beweis dafür, echt cool!

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  8. Hal­lo Paddy,

    vie­len Dank für dei­nen Text und dei­ne Gedan­ken. Ganz ehr­lich – mir geht das ja manch­mal schon so, wenn ich als Hoch­zeits­fo­to­graf zum zwei­ten (ganz zu schwei­gen vom drit­ten, vier­ten, fünf­ten) Mal an die glei­che Loca­ti­on kom­me. Sofort sind die alten Posen und Per­spek­ti­ven wie­der da.

    Oder wenn ich drei Mal nach­ein­an­der für Busi­ness­por­träts zum Pots­da­mer Platz zie­he – wer fin­det die Unterschiede?

    1.) http://klausheymach.com/businessfotos-potsdamer-platz-mall-of-berlin/
    2.) http://klausheymach.com/foto-fuer-website-urbane-businessportraets-berlin/
    3.) http://klausheymach.com/legere-business-fotos-potsdamer-platz/

    Manch­mal ertap­pe ich mich dann dabei, eine nahe­lie­gen­den Hin­ter­grund oder eine coo­le Per­spek­ti­ve, von der ich weiß, dass sie funk­tio­niert, extra links lie­gen zu las­sen, aus Angst, wie­der nur das Glei­che zu machen. 

    Sich genau dazu zu zwin­gen, und dann nicht zum vier­ten Mal wie­der zum Pots­da­mer Platz – das ist wahr­schein­lich das bes­te Rezept gegen krea­ti­ve Ermüdung.

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