Mannomann, was hat Sigma mir da für einen fetten Brocken geschickt? Das neue 60-600mm f/4.5-6.3 DG DN OS Sports. Ich habe erst einmal etwas gebraucht, bis ich die Bezeichnung halbwegs drauf hatte. So etwas, wie die Dicke Berta passt da wohl schon eher.
Ich habe zu dem Objektiv auch ein Video erstellt. Schaut dort auch gerne mal rein. Aber ich dachte mir, so ein bisschen Text mal wieder im Blog kann auch nicht schaden.
Es ist auch schon eine ganze Weile her, dass ich so eine extreme Brennweite in den Händen hielt. Umso mehr habe ich mich gefreut mal wieder mit so einem Gerät rumspielen zu können.
Es gibt so einige Telezoom-Objektive, die in den Bereich von 500 oder 600mm gehen. Das Besondere bei diesem Objektiv ist die Anfangsbrennweite von 60mm, was den Anwendungsfall doch deutlich erweitert. Steht man am Spielfeldrand und das Geschehen bewegt sich auf einen zu, so kann es schon mal eng werden, wenn man ein 100-400mm oder 150-600mm auf der Kamera hat. Aus dem Grund sieht man auch viele Sportfotografen mit zwei Kameras. Mit 60mm hat man da mehr Spielraum.
Man sollte aber schon überlegen, ob das Objektiv für den eigenen Use Case passt. Evtl. hat man als Wildlife-Fotograf gar keine Verwendung für den unteren Brennweitenbereich. Mit einem 150-600mm kann man daher unter Umständen einiges an Gewicht und Geld sparen. Der 10 x Zoomfaktor hat nicht nur seinen Preis in Euros, sondern auch in Kilos. Etwa 2,5 KG bringt das Megazoom auf die Waage. Nichts für den kleinen Sonntagspaziergang.
Hat man ein Objektiv mit diesem extremen Zoomfaktor zum ersten mal in der Hand, kommt natürlich das Spielkind durch. Besonders die Vergleiche von 60mm und 600mm machen echt Spaß und faszinieren. Zuletzt war ich in der Türkei mit einem 100-400mm unterwegs. Aber 600mm sind dann doch noch mal ein Pfund mehr an Tele.
Hier mal ein paar Vergleichsbilder zwischen den beiden Extremen 60mm und 600mm. Welches Bild mit welcher Brennweite gemacht wurde, muss ich wohl nicht dabei schreiben.
Das ist doch mal eine Ansage, oder? Mir ist bei meinen ersten Tests mit dem Sigma 60-600mm DG DN OS Sports aufgefallen, dass es wahnsinnig viel Spaß macht, bekannte Locations mit so einer Brennweite noch einmal neu zu entdecken. Plötzlich sieht man Dinge ganz nah, die sonst einfach nur Hintergrund gebildet haben. Als Kran-Fan besticht hier natürlich der Blick über die Elbe bei Sonnenuntergang.
Zwei Punkte haben mich ganz speziell interessiert. Bringt das Objektiv gute Schärfe über den ganzen Brennweitenbereich und was leistet der Stabilisator? Fangen wir mal beim zweiten Punkt an.
Das Sigma 60-600mm f/4.5-6.3 DG DN OS Sport hat einen eingebauten Stabilisator mit zwei Modi. Normal und für seitliche Schwenks. Es gibt ja die alte Faustformal, den Kehrwert der Brennweite als Belichtungszeit zu nehmen, um verwacklungsfreie Bilder hinzubekommen. Das würde bei 600mm mindestens 1/600s bedeuten. Bedenkt man, dass man bei der Brennweite eine maximale Blende von f/6.3 hat, so kann man hier schon getrost von einem Schönwetterobjektiv sprechen. Glücklicherweise sind bei den heutigen Kameras hohe ISO-Werte kein Problem mehr. Bei meiner Leica SL2-S, mit der ich hier auch getestet habe, bin ich bei ISO 6400 noch ganz entspannt. Aber klar, man versucht dennoch den ISO-Wert gering zu halten.
Mit etwas Luft anhalten war es mir möglich mit 1/80s bei 600mm aus der Hand noch scharfe Bilder zu machen. Allerdings wird es dann auch schon kritisch. Vielleicht kann der ein oder andere von Euch noch etwas länger, aber dann ist es schon eine Herausforderung. Deutlich entspannter ist es ab etwa 1/160s oder 1/200s. Dann kann man schon sehr zuverlässig aus der Hand fotografieren.
Aber klar ist auch, dass bei so einem Objektiv auch ein Stativ nicht weit ist, alleine schon, um das Gewicht nicht die ganze Zeit auf den Armen zu haben, wenn man irgendwo auf der Lauer liegt und auf den nächsten Vogel wartet.
Insgesamt passt die Leistung des Stabilisators und ich denke, es ist auch gut, dass Sigma hier einen im Objektiv verbaut hat, denn der eingebaute Stabi vieler Kameras dürfte dann doch etwas überfordert sein mit der Brennweite.
Und wie sieht es mit der Schärfe aus? Auch da war ich positiv überrascht. Ohne übermäßiges Pixelpeeping betrieben zu haben, war ich mit der Schärfe, vor allem bei 60mm und 600mm durchweg zufrieden. Auch hier ein paar vergrösserte Bildbeispiele. Was wäre so ein Test nur, ohne die gute alte Backsteinmauer?
Wenn man mag, kann man den Bildern in der Nachbearbeitung noch einen kleinen Tick Schärfe mitgeben, aber insgesamt war ich mit der Leistung schon sehr zufrieden. Dazu muss ich erwähnen, dass alle Bilder mit der Leica SL2-S gemacht wurden, also bei 24 Megapixeln. Wie es bei 50 Megapixeln aussieht, kann ich leider nicht sagen.
Auch der Autofokus hat keine Schwächen gezeigt. Er war präzise und schnell. Sigma hat in dem Objektiv den Autofokus verbessert und einen sog. HLA (High-responsive Linear Actuator) eingebaut. Ich zitiere hier einen Kommentar auf Youtube von SW4PHOTOGRAPHIE Kiel dazu: “Ein linear actuator ist ein Linearmotor. Das ist bei vielen hochwertigen Objektiven Standard. Ein Linearmotor dreht sich nicht wie ein herkömmlicher Motor, der über ein Getriebe die Fokussiereinheit bewegen muss. Der Linearmotor bewegt sich gradlinig und ist dadurch viel schneller bei einer Vorwärts- Rückwärtsbewegung.”
Aufgefallen ist mir, dass der Autofokus sehr gerne und zielsicher auf Äste im Vordergrund fokussiert. Das kann es manchmal etwas fummelig machen, wenn man auf ein fernes Ziel scharf stellen möchte und sich etwas in der Sichtlinie befindet. Das Objektiv hat zu diesem Zweck einen Fokusbegrenzer, den ich natürlich vollkommen vergessen habe. Es sind einfach zu viele Knöpfe an dem 60-600.
Positiv ist mir noch die Naheinstellgrenze aufgefallen. Diese liegt zwischen 45cm und 260cm, je nach Brennweite. Bei 200mm hat das Objektiv einen Vergrößerungsfaktor von 1:2,4 und geht damit schon als “kleines” Makro durch.
In dem Zusammenhang sei auch noch der Lock-Schalter erwähnt, mit dem man den Tubus fixieren kann, damit er nicht von alleine heraus rutscht, wenn das Objektiv nach unten hängt. Mit diesem Schalter kann man das Objektiv auch bei den ganzen Brennweiten, z.B. 200mm fixieren, wenn man eben genau diesen maximalen Vergrößerungsfaktor haben möchte. Kleiner Schönheitsfehler: Habe ich das Objektiv bei 200mm fixiert, so zeigen mir die EXIF-Daten 199mm an. Nun, irgendwas muss ich ja zu meckern haben. 😉
Zum Punkt Ausstattung sei noch die Stativschelle mit Arca Swiss Platte erwähnt, die sich natürlich drehen lässt. Jeweils bei 90° rastet die Schelle ein und macht die Ausrichtung für Hochformat einfacher. Positiv sind auch die Befestigungsmöglichkeiten für einen Kameragurt am Objektiv. So ist die Kombination mit Kamera etwas besser zu tragen, als wenn man den Gurt am Kameragehäuse befestigt hat.
Erlaubt mir an der Stelle etwas Eigenwerbung für meine Seemannsgarn-Kameragurte. Ich hatte hier einen mit 12mm Durchmesser und den Peak Design Schnellbefestigungen im Einsatz. Das hat gut funktioniert, vor allem der Wechsel des Gurtes zwischen Kamera und Objektiv. Aber in diesem Fall dürften auch die Kameragurte, die an Anschnallgurte (Amazon-Link) erinnern, ihre Freunde finden.
Weiter oben hatte ich es bereits erwähnt. Es macht wahnsinnig viel Spaß mit dem Objektiv auf Entdeckungstour zu gehen. Klar, das Gewicht macht es nicht unbedingt zum ständigen Begleiter, aber immerhin erlaubt der Stabilisator auch die Verwendung ohne Stativ. Beim Thema Stativ noch der Hinweis, dass dieses Objektiv nach einem Stativ für Erwachsene verlangt. Mein Gitzo Traveller war dann doch etwas überfordert. Zwar hält es Kamera und Objektiv, aber die Einstellung des viel zu kleinen Kugelkopfes ist etwas hakelig. Das geht maximal als Notlösung durch. Wer mit dem Objektiv auf die Pirsch gehen möchte, greift dann vielleicht sogar zu einem Gimbal-Stativkopf, der die Ausrichtung und das Mitziehen deutlich vereinfacht.
Wovon ich immer wieder beeindruckt bin ist, dass alles so gewaltig groß aussieht, was man mit einer langen Brennweite fotografiert. Ebenfalls spannend finde ich es, den Kompressionsfaktor zu nutzen und so mit Vordergrund und Hintergrund zu spielen.
Es liegt auf der Hand, dass man für dieses Objektiv den richtigen Anwendungsfall braucht. Spontan fallen mir Wildlife, Sport oder Planespotting ein. Auch der Voyeur, der gerne in fremde Fenster luschert, dürfte Freude an diesem Objektiv haben. Bei einer UVP von knapp 2.400 € und einem Gewicht von 2,5 KG kommen wir auf einen 100g-Preis von etwa 100,- €. Das muss man sich genau überlegen. Hat man den passenden Verwendungszweck, so kann ich das Objektiv aber empfehlen. In meinem Test hat es keine Schwächen gezeigt und hat vor allem viel Spaß gemacht.
Die genauen Spezifikationen könnt Ihr auch noch einmal der Sigma Produktseite zu dem 60-600mm f/4.5-6.3 DG DN OS Sports entnehmen.
Und zum Schluß noch einige Bilder, die während meines Tests entstanden sind. Vielleicht schaut Ihr auch noch einmal ergönzend in mein Video zu dem Objektiv rein, dort findet Ihr auch einige Filmsequenzen, die ich damit aufgenommen habe.
Hi Paddy,
schön, mal wieder was von Dir zu lesen! Danke daür!
Sigma baut sicher interessante, schöne und optisch sehr gute Objektive, aber das hier ist schon “speziell”… Die 60 mm bei f 4.5 sind sicher nur als “Notlösung” gedacht. Dafür wird man sicher nicht so einen Kaventsmann rumschleppen wollen…
Als Canon User bin ich da sowieso außen vor. Da gibts von Sigma leider nur die alten EF Varianten und die sind, adaptiert am RF Mount, teilweise nur eingeschränkt nutzbar. Das liegt an Canon, weil sie die RF-Mount Software-Protokolle nicht freigeben und an Sigma und anderen Fremdherstellern, die nichts dafür bezahlen wollen.
Grüße
Frank
Zum Thema Canon: Das Problem ist ja nicht, das Canon die Software-Protokolle nicht freigibt. Das haben Nikon und Canon ja noch nie gemacht, auch nicht zu DSLR Zeiten. Canon droht jedem Hersteller, der Objektive für seinen Mount anbietet, mit Klagen und Geldstrafen. Das ist schon ein Unterschied zum früheren Verhalten. Damals wurden Dritthersteller immerhin geduldet, die mussten per “Reverse Energeering” die Schnittstellen-“Sprache” selber herausfinden.
Zum Blogpost: ich bin ein Freund von Blogposts wie diesem, und lese mir sowas lieber durch, als ein Video zu schauen. So kann man sich ganz in ruhe die Bilder betrachten, mit einer guten Tasse Kaffee. Danke für das sehr ausführliche Review. Ich selbst nutze ein 200-600 von Sony. Die Brennweiten unter 200mm vermisse ich manchmal. Das macht ein Objektiv schon flexibler. Was mir jedoch extrem am Sony gefällt ist die Tatsache, das es beim Zoomen auf 600mm die Baulänge nicht verändert. Dieses innenzoomen ist ein echter Vorteil in der Praxis, sorgt es doch beim Handling dafür das sich das Gewicht nicht weiter nach vorne verlagert. Dennoch bin ich von deinem Test sehr angetan. Vielleicht schaue ich es mir mal in einem Fachgeschäft etwas näher an.
Hi Andre, du hast sicher recht mit dem Canon/Sigma Thema. Ich wollte nur nicht so ausführlich darüber werden, es geht ja um Paddy’s Artikel. Was das adaptieren betrifft, wäre mit den neuen Bajonetten mit verkürztem Auflagemaß eigentlich technisch mehr möglich als vorher, auch zwischen den Original-Herstellern. Aber anscheinend suchen die jetzt neue Wege, das zu verhindern. Umso bemerkenswerter, dass es sowas wie die L-Mount Allianz gibt, die den entgegengesetzten Weg gehen. Gut für Paddy und andere Leica und Panasonic User…
Gruß
Frank
Sehr schöne Fotos mal wieder! Ich bin begeistert was man mit den 600mm am Objektiv so alles rausholen kann! ? Die 60mm sind sicherlich nur als Notlösung gedacht aber immerhin vorhanden und es geht auch mal ohne Objektivwechsel wenns sein muss.
Ich werde das Objektiv definitiv im Hinterkopf behalten und vielleicht bei meinem nächsten Objektivkauf in Erwägung ziehen. Eine so große Brennweite fehlt mir noch in meiner Fotoausrüstung. Bisher habe ich mich auf sehr hochwertige Zoomobjektive eingeschossen die in ihren jeweiligen engeren Bereichen fast unschlagbar sind.
Ich habe das alte 60-600 nun seit drei Jahren für nikon f und bin hin und her gerissen. Auf der einen Seite ist es bei Flugshows und Safaris schön ohne zweiten body los zu ziehen, aber auf der anderen Seite wiegt es einfach einiges mehr als das 150-600 c.
Hinzu kommt, dass es bei 60mm ziemlich stark verzeichnet. Ist das bei dem neuen auch so?