Fotografie ist für viele Entspannung und Ausgleich zum Alltag. Man kommt etwas raus, verbringt Zeit in der Natur und beschäftigt sich stundenlang mit seinem Hobby. Aber es kann auch anders aussehen. Ich habe am eigenen Leib festgestellt, dass es in der Peoplefotografie einige Stressfaktoren gibt, die einem den Spaß nehmen können und dazu führen, dass man nach einem Fotoshooting richtig im Eimer ist. Vor allem wenn es darum geht abliefern zu müssen und eine gewisse Erwartungshaltung vorhanden ist. Diese Stressfaktoren gilt es zu kennen. Für mich sind das die einzelnen Baustellen, die man beackern und optimieren muss, um sich insgesamt zu verbessern. Wenn man die Stressfaktoren reduziert, macht es nämlich wieder richtig Spaß und das sieht man auch an den Ergebnissen.
Stressfaktor Kamera
So eine Kamera kann einen schon mal zur Weissglut treiben. Wenn man noch nicht sicher im Umgang mit ihr ist, dann denkt man während des Fotoshootings auch ständig über Einstellungen nach. Das führt dazu, dass man häufig auf die Kamera schaut und an ihr rumfummelt. In dieser Zeit kann man sich nicht um die anderen wichtigen Dinge kümmern. Meiner Meinung nach sollte die Beherrschung der Kamera an erster Stelle stehen. Damit muss ich souverän sein und zwar so souverän, dass ich einen Raum betrete und in wenigen Augenblicken die technischen Bedingungen abschätzen kann. ISO, Verschlusszeit, Blende, Weißabgleich sollte man schon erahnen können, bevor man auf den Belichtungsmesser schaut. Auch während des Shootings sollte man in der Lage sein, in kürzester Zeit die Kameraeinstellungen an die Situation anzupassen. Die Kamera ist nun mal das Werkzeug, das es zu beherrschen gilt und zwar so gut, dass man es fast im Schlaf macht.
Stressfaktor (Blitz-)Licht
Zu einem tollen Foto gehört nun mal auch gutes Licht. Das verwechseln viele damit, dass man jeden Tag ein neues Blitzsetup aufbauen muss. Auch sieht man häufig, dass während eines Fotoshootings das Lichtsetup tausend mal umgebaut wird. man könnte meinen, dass Bildideen und Kreativität mit möglichst abgefahrenen Setups verwechselt wird. Der Einsteiger greift dann gerne zum Mega-Multipack mit 4 Blitzen à 1000 Ws und 17 Lichtformern. Das ist einer der schlimmsten Stressfaktoren. Blitze einstellen und ausrichten kann eine zeitraubende Angelegenheit sein. Wenn man das nicht im Griff hat, dann löst es richtig Stress aus, denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Lichtsetup mit mehr als einem Blitz scheisse aussieht, ist sehr hoch. Dabei ist es gar nicht notwendig immer so viel Zeig aufzufahren. Mit Tageslicht kann man geniale Sachen machen und ein Blitz mit einem Lichtformer reicht auch meistens vollkommen aus. Zudem sollte aus meiner Sicht das Licht in einer Strecke konstant bleiben und nicht ständig wechseln.
Stressfaktor Gedöns
Generell ist jedes Stück weiteres Equipment ein Stressfaktor. Man hat etwas im Internet gesehen, findet das cool, weil es von einem erfahrenen Fotografen präsentiert wurde und schlägt erst mal zu. Natürlich will man das neue Goldstück beim nächsten Shooting ausprobieren. Solange ich aber nicht zu 100% weiss, wie ich mit dem Ding umgehe, sollte ich es lieber erst mal zu Hause lassen. Bei aller Liebe zur Technik gilt es das Zeug erst einmal im Sandkasten auszuprobieren.
Stressfaktor Model
Ja, die Models können ein ordentlicher Stressfaktor sein. Vor allem, wenn sie keine Ahnung haben von dem was sie tun. Möglicherweise treffen dann zwei Ahnungslose aufeinander. Der Anfänger redet sich gerne raus: “mit einem Topmodell kann jeder gute Fotos machen”. Aber das Foto wird nur so gut, wie das schwächste Glied in der Kette. Selbst von einem Supermodel kann man grottige Bilder machen. Mir ist klar, dass viele meiner Leser nicht oft in den Genuss kommen mit einem professionellen Model zu arbeiten. Aber dann muss man auch seine Bildidee und das Ziel des Shootings anpassen. Neue Kamera, vier Blitze und ein unerfahrenes Model sind selten ein Garant für top Bilder. Mit einem unerfahrenen Model mache ich daher auch selten abgefahrene Sachen, da hole ich die Evergreens aus der Schublade, um mich zu 100% auf das Model zu konzentrieren. Ein super Model hingegen gibt mir den Freiraum, mich um schwierige Setups und Lichtaufbauten zu kümmern.
Stressfaktor zwei Models
Klingt logisch, oder? Ich hatte schon mehrere Shootings bei denen ich die Idee so toll fand, dass es schade gewesen wäre nur mit einem Model zu fotografieren. Viel Aufwand für die Vorbereitung und die Locationssuche und dann nur ein Model? Ne, da nehme ich doch gleich drei. Das ist Stress pur, denn nun musst Du mit jedem Model Bilder machen, sie einzeln oder als Gruppe positionieren. Die Zeit pro Model reduziert sich deutlich, Wartezeiten für die Mädels entstehen. Denkt zweimal darüber nach, ob Ihr wirklich mit mehrere Models arbeiten möchtet. Und wenn ja, dann richtet das Shootings von vornherein darauf aus. Ich habe mich schon einmal richtig geärgert, weil ich mit keinem Model so richtig zu Ende fotografiert habe.
Stressfaktor Ideenlosigkeit
Ein gutes Foto fängt mit einer Idee an. Man sollte sich Gedanken um das Thema des Shootings machen. Mir helfen oft Filmtitel. Sage ich “Moulin Rouge” weiss jeder sofort worum es geht. Eine Idee muss nicht unbedingt gross sein. Zeit und Geld spielt ja auch meistens eine Rolle. Etwas einfaches wie “sommerliche Lifestyle Portraits auf der Wiese” sind ein guter Anfang. Vor allem kann man sich darunter schnell etwas vorstellen und hat sofort eine Stimmung und die zugehörige Location festgelegt. Die Idee sollte möglichst gut ausformuliert und natürlich mit Moods bebildert werden. Je besser man letztendlich vorbereitet ist, umso genauer weiss man dann später am Set auch was zu tun ist. Vor allem hat man ein Ziel vor Augen und kann darauf hin arbeiten. Ich finde es schlimm, wenn man eine tolle Location, super Licht, mega Modell und keine Idee hat. Das fördert den Stress, da natürlich bei meinem Gegenüber eine grosse Erwartungshaltung vorhanden ist. Die Idee ist nicht alleinige Sache des Fotografen, die kann man auch super mit dem Model oder weiteren Beteiligten wie der Visagistin erarbeiten. Wichtig ist, dass Ihr die Idee an Euren eigenen Level anpasst, denn sonst kann die beste Idee zum Disaster werden.
Stressfaktor Zeit
Das hängt ein wenig mit der Idee zusammen. Hat man sich übernommen und kann die Idee doch nicht so umsetzen, wie man gedacht hat, dann kommt man schnell in Zeitnot. Vor allem bei Shootings mit Tageslicht sind die Zeitfenster teilweise sehr kurz. So ein Sonnenuntergang dauert nun mal weniger als eine Stunde. Hier kommt die Vorbereitung ins Spiel. Früher an der Location sein und alles aufbauen, bevor das Model aus der Maske kommt, ist Gold wert. Es ist absurd wie manchmal die Zeiten verteilt sind. Zwei Stunden Maske und Styling, zwei Stunden aufbauen, Licht einrichten und 30 Minuten fotografieren. Aber so ist es, wenn man top vorbereitet ist, dann ist der Klick auf den Auslöser nur das finale Element. Überlegt Euch daher im Vorfeld wie Ihr Euch das Shooting vom Zeitplan einteilen möchtet und denkt nicht, dass wenn Ihr eine Location für vier Stunden habt, Ihr auch vier Stunden fotografieren werdet 😉
Stressfaktor Fotografieren
Irgendwann geht es dann endlich los und man kann fotografieren. Darauf hat man die ganze Zeit hingearbeitet, in wenigen Sekunden sieht man die ersten Ergebnisse. Die Aufregung steigt, Schweiß bildet sich auf der Stirn, die Hände fangen an zu zittern. Plötzlich vergisst man alles, was man über Bildaufbau gelernt hat und setzt den Fokus zielsicher neben das Model. Das Kleid des Models wirft komische Falten und selbst der schlankste Body bekommt plötzlich Fettpolster. Leider sieht es der Fotograf nicht, da er mit dem Fotografieren beschäftigt ist.
Klingt auch irgendwie logisch, aber das eigentliche Fotografieren sollte meine Meinung nach möglichst locker von der Hand gehen, was nicht selbstverständlich ist. Dafür muss ich das geübt haben und natürlich die ganzen vorherigen Stressfaktoren ausgeschaltet haben. Je entspannter man ist, umso freier bekommt man den Kopf und umso besser kann man auf Details achten. Ich bin ein echter Detailpunker, mir fallen tausende Dinge nicht auf. Daher lasse ich das Model und die Stylistin gerne mit aufs Bild schauen. Dinge wie Bildaufbau und Bildausschnitte sind extrem wichtig für das spätere Ergebnis und genau darauf muss ich mich konzentrieren können.
Immer nur eine Baustelle beackern
Welcher Stressfaktor wie stark wiegt, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Vielleicht findet Ihr Euch in einigen Punkten wieder und andere sind auch völlig fremd. Wenn Euch die Stressfaktoren bewusst sind, dann empfehle ich diese Schritt für Schritt auszuschalten indem Ihr die jeweiligen Punkte in Eurer Arbeitsweise optimiert. Wenn Ihr die neuen Blitze ausprobieren wollt, dann macht das mit einer Puppe oder sprecht mit dem Model einen Techniktesttag ab. Wollt Ihr an der Kommunikation mit dem Model arbeiten, dann macht das mit einfachen Setups. Plant aber nicht ein riesiges Shooting mit ausgefallener Idee, wenn Ihr noch nicht mit der Kamera fit seid. Dafür alleine kann man sich schon mal ein paar Tage Zeit nehmen. Vieles geht natürlich Hand in Hand und die Übergänge sind fliessend. Aber lasst es langsam angehen. Die Top-Fotografen dieser Welt haben immer ein Team mit Top-Leuten um sich, beste Stylisten, Visagisten, Models bis hin zum Locationscout. Man muss sich mit den besten Leuten umgeben, um die besten Ergebnisse zu erzielen.
Und eigentlich sollte die Fotografie doch kein Stress sein, oder?
Super Artikel. Ich freue mich immer wieder.
Der Blogeintrag klingt wie die Zusammenfassung des letzten Wochenendes von dem Workshop mit Dir.
Und der letzte Satz ist das passende Fazit: Man muss sich mit den besten Leuten umgeben, um die besten Ergebnisse zu erzielen.
In unserem Fall einen guten Lehrmeister, ein tolles Modell und natürlich einen hervorragenden Koch.
Und für Insider. Einen Hund 🙂
Hi Paddy,
mich haut es jedesmal vom Hocker wieviel Mühe Du Dir mit Deinen Postings gibst. Lockerer Schreibstil und interessante Themen perfekt präsentiert. Einfach klasse.
Vielen Dank
Gruß Roland
Hi Paddy,
wahrlich mal wieder ein sehr gelungener Artikel, den man sich gerade vor einem Shooting (oder einer Shootingidee) auf der Zunge zergehen lassen und inhalieren sollte. Dann kann man auch stressfrei(er) arbeiten.
Herzlichen Dank & herzliche Grüße,
Maria
Hi Paddy,
du hast wieder mal alles auf den Punkt gebracht.
Ich finde es generell TOP, dass du dich nun verstärkt um deinen Blog kümmerst.
Freue mich immer wieder, wenn ich eine Newslettermail bekomme.
Weiter so…
LG aus Österreich
Rainer
Sehr kurzweiliger Artikel, in dem leider sehr viel wahr ist … Danke!
Jop ! Paddy.…danke…schon wieder!
Top Artikel 😉
Hallo Paddy,
sonnige Grüße aus dem Erzgebirge. Wieder mal ein sehr guter Beitrag von dir. Es ist immer eine Bereicherung für mich, diene Erfahrungen in der unkomplizierten Art zu lesen. Ich hoffe auch, dass die anderen Leser auch eifrig die coolen Videos von dir in sich “hineinziehen”. So macht es Spaß zu fotografieren und täglich mehr zu lernen.
Bist du i März auch wieder mit in Zingst? Wirst du im Juni in Zingst noch weitere Workshops oder sonstige Schulungen halten?
einen schönen Abend noch und weiterhin so viele coole Ideen und Beiträge
der Frank aus Lößnitz
…trotzdem, auch nach sehr vielen Jahren und beherrschung der Kamera ist eine gewisse Nervösität vorhanden!
…die aber nach gut einer halben Stunde “verschwindet”
Hallo Robert,
selbst große Künstler haben ein gewisses Lampenfieber vor dem Auftritt, das fördert auch Sinneswahrnehmung!
Der Artikel ist sehr gut, ich habe mich in manchen Punkten als “erwischt” gefühlt.
Gruß Michael
Starker Artikel! Wo du recht hast, hast du recht 😀
Schöne Restwoche.
Gruß Dominik
Also - ich wage mal leichten Widerspruch und -stand gegen die “Team-mit-Top-Leuten-Argumentation”. Wenn alle diese Top-Bedingungen erfüllt sind, ist natürlich alles irgendwie leichter und stressfreier. Nur, wie viele Fotografen können sich diese Rahmenbedingungen auch schaffen? Spontan fällt mir da der Herr L. ein, der mit Sonnenbrille, Pferdeschwanz und Handschuhen. Er kommt zum Shooting, läßt sich die Kamera anreichen, drückt einige Male den Auslöser und entschwebt wieder. Ist das “wahres” Fotografieren? So mit Leidenschaft, Mut zum Risiko, Improvisation und Spontanität trotz guter Vorbereitung? Ich habe meine Zweifel. Und es gibt einfach zu viele Bildikonen der Fotografie, die wenig mit generalstabsmäßiger Planung zu tun hatten, sondern mit dem richtigen Ort zur rechten Zeit und einem Fotografen, der antizipieren konnte oder einfach nur Glück hatte. Stress hin oder her, ich bin für mehr Risikobereitschaft auch wenn am Ende das perfekt geplante Bild nicht dabei herauskommt.
Dem ist wohl nichts hinzuzufügen, super zusammengefasst - danke.
Hallo Paddy,
einen sehr interessanten Beitrag präsentierst Du uns hier.
Als absoluter Anfänger, was die People- und Portraitaufnahmen angeht, kann ich die einzelnen Stressfaktoren so unterschreiben.
Einen weitere Stressquelle ist bei mir die spätere Bildbearbeitung. Ich möchte dem tfp-Model dann auch möglichst schnell viele Aufnahmen überreichen können und setzte mich dann bei der Bearbeitung gerne selber unter Druck.
Gruß, Andreas