Nachdem ich nun einige Monate ganz glücklich mit meiner Q und M um die Häuser ziehe und durch die Weltgeschichte reise, machte sich in mir der Gedanke nach etwas mehr Brennweite breit. Für die M besitze ich bisher nur das Summilux 50 mm, wie in meinem ersten Bericht darüber zu lesen ist. Die Q (Testbericht dazu) besitzt fest verbaute 28 mm. Irgendwie hätten da jetzt 90 mm gut rein gepasst. Als Klassiker für Portraits mit Sicherheit nicht zu verachten. Aber mir war nicht nach 90 mm und so zog es meinen Blick auf die 75 mm Brennweite. Eine Eigenheit von Leica, die ich bisher bei anderen Herstellern nicht gesehen hatte. Exoten ziehen mich ja magisch an. Aktuell gibt es da das Summicron 75 mm mit einer Anfangsblende von f/2.0, welches Berichten im Netz nach über jeden Zweifel in der Abbildungsleistung erhaben ist und eine ähnliche Abbildung wie mein 50er Summilux an den Tag legen dürfte.
Ein großer Reiz bei Leica ist vor allem das enorme Arsenal an gebrauchten Linsen, die bis heute alle am M-Bajonett funktionieren. Es macht Spaß das Netz nach diesen Perlen zu durchstöbern und so stieß ich auf das Summilux 75 mm f/1.4. Dieses Objektiv wird nicht mehr gebaut und ist daher nur gebraucht zu bekommen. Wie der Zufall es wollte, hatte Meister Camera zwei Exemplare vorrätig. Mit dem Angebot eins davon mal übers Wochenende auszuleihen unterstrichen sie mal wieder den guten Eindruck, den ich bereits beim Kauf der M von dem Laden gewonnen hatte. Also eingepackt und zur Vorsicht auch noch den elektronischen Aufstecksucher eingepackt. Das Netz munkelte da Sachen von wegen Fokus und so.
Am letzten Sonntag traf ich mich mit Maria zu einem kleinen Testshooting. Endlich mal wieder einfach nur so losziehen und ein paar Fotos machen. Das Wetter spielte mit und so versprach es ein lauschiges Shooting zu werden. Zeit genug, um dem 75er Summilux etwas auf den Zahn zu fühlen.
Ich komme gleich zum Fazit. Die meisten negativen Berichte im Netz beziehen sich auf den zickigen Fokus. Positiv hingegen wird allseits der Bildlook, vor allem das Bokeh, bewertet. Beides kann ich bestätigen. Mit dem Messsucher war der Ausschuß bei f/1.4 sehr hoch. Das Exemplar hat einen anständigen Backfokus. Besonders bei etwas größerer Entfernung waren nahezu alle Bilder unscharf. Im Nahbereich ging es. Abblenden wäre eine Option. Aber mal ehrlich, ich gebe nicht so viel Geld aus, um abzublenden und wir sprechen hier über einen Gebrauchtpreis, der immer noch um zu bei 3.000 € liegt.
In weiser Voraussicht hatte ich mir noch den elektronischen Aufstecksucher ausgeliehen. Damit ging das Fokussieren dann deutlich besser. Die Kombination aus Vergrößerung und Fokuspeaking lies mich die Bilder perfekt fokussieren. Aber Spaß macht das nicht. Der Sucher ist nicht der beste und die Kamera verhält sich dann wie im Liveview-Modus. D.h. es gibt immer eine kleine Verzögerung beim Auslösen. Irgendwie nicht so schön. Zudem ist das Ding einfach nur hässlich. Ich kaufe mir ja schließlich keine Leica um gute Fotos zu machen, sondern damit ich selbst gut aussehe 😉
Die Ergebnisse hingegen sind schon sehr lecker. Trifft man mit f/1.4 den Fokus, so hat man einen sehr schönen Schärfeverlauf. Das Bokeh ist tatsächlich ein Träumchen. Die Linse selbst stammt aus den 80er Jahren und wurde bis 2007 gebaut. Es gab verschiedene Versionen davon. Sie hat nicht diese extreme Schärfe, die z.B. mein aktuelles 50er Summilux hat. Das empfinde ich durchaus als angenehm. Insgesamt kann ich den Bildern sehr viel abgewinnen.
Allerdings sind bei dem Test auch ein paar Punkte aufgetaucht, die mich grübeln liessen. So stellte ich mir irgendwann die Frage, warum eigentlich 75 mm. Ich bin so glücklich mit dem 50er und habe damit in den letzten Monaten fast alles gemacht. Ja, mit dem 75er komme ich etwas näher ran. Möchte man Portraits machen, die nicht ganz so distanziert sind, wie mit 90 mm, so ist 75 evtl. eine gute Wahl. Aber ich gehe nun mal sehr gerne nah ran und greife ja auch zur Q für Portraits. Den Kompressionseffekt, den man durch lange Brennweiten erzielt, bekommt man bei 75 mm noch nicht so stark, dass er auffällt. Dazu ist das 75er Summilux für Leica-Verhältnisse doch relativ groß und schwer. Ich liebe besonders die Kompaktheit des Systems. Es gibt kein vergleichbar kleines System mit Vollformatsensor. Warum also jetzt fette Linsen kaufen und alles kaputt machen? Das Summicron mit seinen f/2.0 ist da deutlich kompakter. Zusammen mit der Tatsache, dass das Fokussieren eine echte Herausforderung ist, war die Entscheidung gegen das 75er Lux gefallen und ich brachte es schweren Herzens zurück. Aber großartig, dass es die Möglichkeit gab. “Haben ist besser als Brauchen” hat dann doch seine Grenzen.