Ihr merkt schon an der Überschrift: Heute schrecke ich vor nichts zurück. Ich bin ja hier für die Basics eingeteilt. Das war jedenfalls Paddys Plan, sich nicht mehr mit den Grundlagen herumzuplagen, sondern dafür einen Gehilfen zu haben. Also machen wir jetzt ernst, mit Mathematik für Fotografen nämlich.
Ich höre sie förmlich rattern, die Jalousien, die jetzt bei manchem von euch herunterfallen, aber ich ziehe es trotzdem durch – und bitte euch nur um vier weitere Sätze Geduld. Vielleicht macht ihr dann ja doch wieder auf.
Erstens: Ich weiß, dass Kreativität sehr gut ohne Mathematik funktioniert, und dass außerdem eine gute Idee wichtiger ist als eine Formel – wer wollte das bezweifeln? Zweitens: Trotzdem ist es wahr, dass Physik die Welt erklärt (und zwar die ganze), und dass die Grundlage der Physik die Mathematik ist. Drittens: Das habe ich auch erst spät im Erwachsenenalter eingesehen, nämlich durch „Big Bang Theory“, ganz ehrlich. Viertens: Da war es zu spät, um das in der Schule Versäumte nachzuholen, aber ich pflege meine alltagsmathematischen Kenntnisse seither besser und habe ein großartiges Anwendungsfeld dafür gefunden – die Fotografie.
Und jetzt geht es mal gleich zur Sache mit der ultimativen und mathematisch korrekten Erklärung des Crop-Faktors – wofür der Satz des Pythagoras eine wichtige Rolle spielt.
Also: Es gibt verschiedene Sensorgrößen, wie ja alle wissen, und die meisten von uns streben nach großen Sensoren. Der Referenzsensor ist der Vollformatsensor, der 36 Millimeter breit ist und 24 Millimeter hoch, genau wie jedes einzelne Negativ auf einem Kleinbildfilm. Lassen wir das noch größere und ungleich teurere Mittelformat mal außer Acht, sind alle anderen Sensorklassen kleiner als der Vollformatsensor, und zum Größenvergleich gibt man gern den sogenannten Cropfaktor an. Zu deutsch ist das der Beschnittfaktor, und diese Zahl sagt exakt – ja, was genau?
Diese Frage wollte ich mal mit einer 14-jährigen Praktikantin erörtern, die für drei Wochen bei mir war, aber ich musste feststellen, dass entweder der Mathematikstoff der achten Klasse Themen wie Seitenverhältnis oder Quadratwurzel nicht vorsah, oder dass diese Dinge einfach nicht bei ihr angekommen waren. Wir gaben es dann auf.
Aber hier, vor erwachsenem Publikum, kann ich es ja noch einmal versuchen: Der Cropfaktor sagt, um wie viel kürzer die Diagonale des Sensors ist als beim Vollformat. Die nächstkleinere Größe ist der APS-C-Sensor, und dessen Cropfaktor liegt bei 1,5 (Nikon, Sony) bzw. 1,6 (Canon). Viele Fotografen glauben, dass der Cropfaktor etwas über die Fläche des Bildes aussagt, aber das stimmt nicht. Schaut man z.B. in die technischen Daten der neuen Vollformatkamera Nikon D850, dann ist da eine Sensorgröße von exakt 35,9 x 23,9 mm angegeben, und 35,9 x 23,9 = 858 Quadratmillimeter. Das reicht nicht zum Wohnen, aber zum Bildermachen ist das eine sehr großzügige Fläche. Hätte der APS-C-Sensor der Nikon D3400 nun eine 1,5 Mal kleinere Fläche, dann müsste er 858/1,5 = 572 Quadratmillimeter bieten. Doch laut Datenblatt ist der APS-C-Sensor 23,5 mm breit und 15,6 mm hoch, das ergibt nur eine Fläche von 23,5 x 15,6 = 366,6 Quadratmillimetern.
Man kann mit einem APS-C-Sensor sehr gut arbeiten, ich nutze neben meiner Canon 5D Mark IV auch eine 7D Mark II, und längst nicht jedes Porträt mit beeindruckender Unschärfe im Hintergrund muss von einer Vollformatkamera gemacht sein. Insofern sollte man sich nicht beunruhigen lassen von der möglicherweise neuen Erkenntnis, wie klein der APS-C-Sensor in der eigenen Kamera tatsächlich ist. Jedenfalls ist das Vollformat nicht nur um den Faktor 1,5 größer als APS-C. Sondern? Da zücken wir wieder den Taschenrechner und tippen ein: 858/366,6 = 2,34. Der Vollformatsensor ist mehr als doppelt so groß wie ein APS-C-Sensor.
Vorsichtshalber prüfen wir noch, ob das mit der Diagonale auch stimmt. Dabei hilft der Satz des Pythagoras, von dem jeder schon mal gehört hat, und der hoffentlich auch heute noch Unterrichtsstoff in der Mittelstufe ist, aber man weiß ja nie. Mein Sohn ist 27, mein Enkel noch nicht mal zwei Jahre alt, mit dem Stoff in der Schule kenne ich mich momentan nicht wirklich aus.
Was ich aber weiß, ist, dass man mit dem Satz des Pythagoras in jedem Rechteck* die Länge der Diagonale berechnen kann, wenn man die Seitenlängen kennt (z.B. 35,9 und 23,9 mm). a2 + b2 = c2, so lautet die möglicherweise geläufigste Formel aller Zeiten, und bezogen auf unseren Vollformatsensor geht die Formel dann so: 35,92 + 23,92 = c2. Eine Quadratzahl, gekennzeichnet durch die hochgestellte 2 am Ende, ist eine mit sich selbst multiplizierte Zahl. Wir rechnen also (35,9 x 35,9) + (23,9 x 23,9) = 1860. 1860 Millimeter Sensordiagonale?
Nein, denn 1860 steht ja nicht für c, sondern für c2. Also muss man schauen, welche Zahl wohl mit sich selbst multipliziert wurde, um 1860 zu ergeben. Gottlob gibt es dafür eine Taste auf dem Taschenrechner, die sieht aus wie eine Art V in Schreibschrift, sie steht für die Quadratwurzel, und die suchen wir ja auch: die Wurzel, also die Grundlage unserer Quadratzahl. Einmal getippt, und es steht fest: Die Wurzel von 1860 ist 43,1 (ich runde immer auf die erste Stelle hinterm Komma), und das ist dann auch die Länge der Sensordiagonale in Millimetern.
Auf dieselbe Weise kommt der APS-C-Sensor auf den Prüfstand: (23,5 x 23,5) + (15,6 x 15,6) = 795,6. Daraus die Wurzel gezogen: 28,2. Und jetzt bitte mal die Vollformat-Diagonale dazu in Beziehung setzen: 43,1/28,5 = 1,5. Voila!
Wie gesagt, um ein guter Fotograf zu sein, muss man das nicht unbedingt wissen, aber ich finde, dieses Wissen schadet auch nicht. Zumal zum Thema Cropfaktor wirklich eine Menge Blödsinn kursiert. Zum Beispiel, dass er verantwortlich sei für eine Brennweitenverlängerung. Auch das ist falsch, aber dazu erzähle ich beim nächsten Mal mehr.
Wir wollen ja nicht gleich mit einer Doppelstunde Mathe anfangen.
*Strenggenommen gilt der Satz des Pythagoras (a2+b2=c2) ausschließlich für rechtwinklige Dreiecke, aber wenn man ein Rechteck diagonal zerteilt, erhält man genau das: zwei gleich große Dreiecke, die jeweils einen rechten Winkel haben.
Ich bin auch nur ein ganz kleines mathematisches Licht — aber vielen Dank für Deine Ausführungen. Wenn sich doch noch manch andere hitzige Formatdiskussion auf eine so einfache Formel zurückführen ließe. Mannomann — Mittelstufen Mathematik. Ist das lange her!
Chapeau - freu mich auf die Fortsetzung!
Danke!
Gerne wird die (so so hoch gerühmte) Kreativität herangezogen, um seine künstlerische Freiheit zu begründen. Doch was nützt alle Kreativität, wenn das Handwerkzeug unbekannt ist. Auch wenn der Beruf des Fotografen nicht mehr geschützt ist, so ist er doch immer noch ein Handwerksberuf.
Man sollte also sein Handwerkzeug beherrschen - alles andere sind eher Zufallserfolge. Kommt Wissen, Kennen und Können zusammen, dann findet auch die Kreativität Raum und liefert entsprechende Ergebnisse. 🙂
OK. wieder mal was dazugelernt. Bringt mich zugegebenermaßen in meinem Leben nicht wirklich weiter, aber zumindet erzähle ich dann in Sachen Cropfaktor zukünftig keinen Blödsinn mehr. Ruhig mehr solcher Infos, wer weiß was für ein Blödsinn da noch in meinem Kopf korrigiert werden muss (.… also in Bezug auf Fotografie 😉 ).
So macht Mathe Spaß. ?? und ein wenig Hintergrundwissen hat noch nie geschadet. In dem Sinne wünsche ich immer gut Licht und spannende Motive vor der Linse.
Sehr gut erklärt, aber ich bezweifle das, dass wirklich alle verstanden haben, weil viele nicht mal mehr in der Lage sind einfache Prozentsätze zu berechnen. Danke für den anschaulichen Beitrag mit Anwendung des phytagorischen Satzes. Ich freue mich auf den Folgeblog.
Schoen erklaert - danke. Jetzt warte ich auf die Erklaerung zur Brennweitenverlaengerung - oder gibt es die etwa schon?
Das war jetzt interessant! Danke fürs Veranschaulichen. 🙂
Das hatte ich mir auch schon hergeleitet weil’s mich interessiert hat. Du solltest, der Vollständigkeit halber aber noch die Einheit mm2 mit anführen, denn mm x mm gibt nicht Nix.
Ich freue mich schon auf deine weiteren Erklärungen, denn bei dem Bezug zur Brennweitenverlängerung bin ich bisher auch davon ausgegangen, dass “Brennweite im FX-Format x Cropfaktor = Brennweite DX-Format” ergibt.
Auch das Verhältnis bei der Tiefenschärfe wäre interessant.
Viele Grüße
Bernd Gantert
Wen juckt das ?
Jetzt mal ernsthaft. Ich versteh den Artikel nicht.
Was ist daran neu ? Was hab ich davon wenn ich irgendwelche mathematische Formeln vorgeknallt bekomme ?
Leider Zeitverschwendung…
@Olli: Danke, Oliver. Ich war schon ganz irritiert von dem vielen Lob hier 😉
Endlich mal einer der das reell erklärt! Freue mich schon auf die Mähr von der Brennweitenverlängerung. Hab’ da schon einige Erklärungen gelesen, aber kapiert habe ich bisher keine.
Biss dann
Nur gut dass der Begriff “Vollformat” nur indirekt etwas mit der Sensorgröße zu tun hat (auch wenn er andauernd falsch verwendet wird, wird’s nicht richtiger). Vollformat sagt lediglich aus, dass der Sensor den Bildkreis des Objektives voll ausnutzt…
Ich benutze einen Micro-Four-Thirds-Vollformat-Sensor 😉
@Rolf: Du hast Recht, ich habe hier die landläufige Erklärung benutzt. Aber wenn ich mich um das Thema Brennweitenverlängerung kümmere, gehe ich auch auf die von Dir erwähnte Definition des Vollformats ein.
Was ich mich immer wieder frage: Warum ist das Vollformat kleiner als Mittelformat? Wir sprechen hier doch von Kleinbild, oder nicht…?
@Daniel Good: Stimmt, das Wort Vollformat ist etwas irreführend. Ganz früher gab es halt die Großformatkameras (die ruhten auf dem Stativ, und der Fotograf steckte unter einem Vorhang dahinter) und als handlichere Größe die Mittelformatkameras. Die Revolution kam dann mit der Einführung des Kleinbildformates (Oskar Barnack, Leica), das sich in der analogen Fotografie zum Maß aller Dinge entwickelte – zumindest als Amateurfotograf kam man gut durchs Leben, wenn man jenseits des Kleinbildfilms nichts anderes kannte.
Die ersten digitalen Sensoren waren deutlich kleiner als ein Kleinbildnegativ, schon aus Kostengründen, und irgendwer hat wahrscheinlich irgendwann mal gesagt: Mensch, wir müssen aber dringend das volle Kleinbildformat erreichen. Jedenfalls ist mit Vollformat genau das gemeint: volles, also echtes Kleinbildformat. Mittelformat war, ist und bleibt trotzdem größer, Großformat natürlich sowieso.
Sehr schön erklärt, das hätte Sheldon nicht besser gekonnt 🙂
Kannst du in einer der nächsten Mathe-/Physik-Stunden vielleicht erläutern, warum bei einer Vollformatkamera der Schärfebereich eines Bildes kleiner ist als bei einer Kamera mit kleinerem Sensor?
Klasse, bin auf die Fortsetzung gespannt 🙂 🙂
Hallo Stefan,
vielen Dank für die kleine Lehrstunde! Als gelehrnter Fotograf, mit Lieblingsfach Mathe in der Berufschule freue ich mich über die klärenden Worte! Zu meiner Schulzeit gab es den Begriff Cropfaktor zwar noch nicht, aber die Größenverhältnisse der verschienenen Aufnahmeformate (8“x10” vs. 13cm x 18cm vs. 9cm x 12cm) waren auch damals schon Stoff für viele Diskussionen! Ich bin gespannt auf die Fortsetzungen, vor allen wenn wir dann den spannenden Hintergrund des “zulässigen Zerstreuungskeisdurchmessers” kennen lernen!
Stefan, Mathe 1, setzen!
Halt! Noch nicht, Französisch muß noch geübt werden! Voilà schreibt man mit “accent grave”. 😉
Kollegiale Grüße aus Ludwigsburg
Jochen Kubik
Hallo Stefan,
Toll geschrieben und erklärt. Nur verstanden habe ich nur die Hälfte?
Ich mache es mir da ein wenig einfacher.…..
Ich benutze einfach beide Formate und habe dabei Spaß an tollen Fotos.
My2cents
Thomas
jetzt kenn ich mich wenigstens mal aus…hätten das die Mathe - Lehrer früher so erklärt, wäre es einfach zu verstehen 🙂
Hallo Stefan,
ich hoffe, dass durch deinen Artikel ein paar mehr Leute den Zusammenhang zwischen Verlängerung der Diagonale und Vergrößerung der Fläche verstehen.
Das ist auch bei Pizza hilfreich. Die 36cm Pizza ist eben fast doppelt so groß, in der Fläche, wie das 26cm Exemplar und nicht bloß um die Hälfte größer. Auch wenn der Durchmesser das suggeriert.
Und zum Thema “Brennweiten-Verlängerung” hat Martin Krolop in einem der Videos seiner Objektiv-Reihe und dem Blog dazu eine wirklich gute Erklärung gehabt. Kann ich nur jedem zum ansehen/lesen empfehlen.
Gruß
Heiko
Stimmt, danke. Und um auch dafür die korrekte Formel zu nennen: Die Fläche eines Kreises ist immer Pi mal r zum Quadrat. Pi ist eine irrationale Zahl (also mit endlosen Stellen hinterm Komma), die man mit 3,14 aber seriös angeben kann. Und r steht für den Radius, der wiederum die Hälfte des Durchmessers ist. Im Fall einer Pizza mit 26 cm Durchmesser (das ist die Linie, die entsteht, wenn man die Pizza exakt halbiert) beträgt der Radius also 13 cm. Die Fläche misst demnach 3,14 x 13 cm x 13 cm = 530,66 Quadratzentimeter. Und die 36er-Pizza? 3,14 x 18 cm x 18 cm = 1017,36 Quadratzentimeter, tatsächlich fast doppelt so groß. Ich bin übrigens gerade nach Kalifornien geflogen, habe fälschlicherweise nachmittags geschlafen, und deswegen habe ich jetzt Zeit für sowas 😉
… nach all der Mathematik hier ein humorvolles Video zum Thema Vollformat von Zack Arias :
https://www.youtube.com/watch?v=PHYidejT3KY
Danke, Jochen. Das kenne ich, gehört zum Besten, was es auf dem weiten Feld der Foto-Tutorials gibt. Schönen Abend.
Ja, ja, die Algebra…
Somit ist auch klar, dass eine Erhöhung der Blendenzahl um dem Faktor 1,4 (genauer Wurzel aus 2) eine Halbierung der Lichtmenge bedeutet.
Also: Vergrößere ich den Durchmesser der Blende um den Faktor 1,4, verdoppele ich die Fläche, durch die Licht einfallen kann.
Das ist zwar alles korrekt, aber mir erschließt sich nicht, warum es für diese Betrachtung sinnvoll ist, die Diagonale zu verwenden. Für die Seitenlängen gelten de Verhältnisse doch genauso und die Vollformat-Sensorgröße heißt ja auch “35 mm Kleinbild-Äquivalent” wegen der Seitenlänge.
Die Diagonale enthält beide Kanten, das hilft beim Umrechnen von Bildformat 3:2 zu 4:3. Mit der Fläche kann man auch Rechnen, das gibt nicht den exakt gleichen Cropfaktor, aber gerundet passt das ganz gut zu den üblichen Formaten (Die Vollformat-Diagonale ist etwas mehr als doppelt so groß, wie die M43-Diagonale, die Fläche ist aber etwas weniger als 4x so groß, der Cropfaktor 2 ist also einmal ab- und einmal aufgerundet).
Der Cropfaktor sagt sehr wohl etwas über die Fläche aus, man muss ihn dazu “in Fläche umrechnen”, d.h. quadrieren:
24*36 = 16*1,5 * 24*1,5 oder
Fläche Vollformat = Fläche Cropformat * Cropfaktor²
Und das alles ohne Pythagoras 😉