In Hamburg gibt es eine kleine Niederlassung des TASCHEN-Verlag. Wenn es mich in die Gegend treibt, schaue ich immer mal wieder rein, denn dieser Laden ist ein kleines Paradies für Liebhaber von Foto-Bildbänden. Bei TASCHEN sind jede Menge tolle Fotobücher erschienen, die bei mir das Haben-Wollen-Gen aktivieren und so kommt es nicht selten vor, dass ich mit einem weiteren Exemplar für meine Sammlung den Laden wieder verlasse.
Als ich vor wenigen Wochen den Laden betrat, stand dort im Fenster ein riesiges Buch, aufgebahrt auf einem edlen Ständer. Ich hatte bereits von dem Werk von Annie Leibovitz im SUMO-Format gehört, aber hier lag es jetzt live vor mir und ich durfte es sogar anfassen. Klingt irgendwie ehrfürchtig und ein klein wenig war mir auch so zumute.
Es gibt wenige Fotografen, die mir sofort einfallen, wenn man mich nach einem Vorbild fragt. Annie Leibovitz gehört zu diesen wenigen. Ich liebe sie, also ihre Bilder 😉 Sie macht genau das, was mich interessiert. Sie ist eine der wenigen Fotografen, die den Spagat zwischen Kunst und Kommerz mit Bravour meistern. Ein Grossteil der Bilder sind Auftragsarbeiten und doch grosse Kunst. Annie Leibovitz ist auch die Fotografin, die mir Spass an Gruppenbildern gab. Jeder, der schon mal ein Gruppenbild auf einer Hochzeit geschossen hat, weiss wovon ich rede 😉 Annie hat viele grossartige Gruppenbilder inszeniert und jedes einzelne fesselt mich.
Mittlerweile ist Annie Leibovitz seit mehr als 40 Jahren im Geschäft. Ihre Geschichte kennen wohl sehr viele, die sich für Fotografie begeistern. Ihre Arbeit für das Rolling Stone Magazin und Vanity Fair sind legendär. Klingt komisch, aber mich fasziniert vor allem, dass sie noch lebt. Annie Leibovitz schwebt zwar fotografisch in einer anderen Sphäre aber doch ist sie irgendwie greifbar. Immer wieder erscheinen ihre Bilder irgendwo in aktuellen Publikationen. Man könnte einfach mal zu ihrem Haus fahren und klingeln … also rein theoretisch 😉
Da lag also dieses riesige Buch vor mir. 50 x 69 cm gross, 476 Seiten dick. Aufgeschlagen noch viel imposanter. Und dann die Fotos, die meisten über eine Doppelseite, so gross wie ein Bild, das normalerweise an der Wand hängt. Ich schlage zufällig das Gruppenfoto von “The Sopranos” auf und bin fasziniert. Man muss noch einmal zwei Seiten ausklappen und nun liegt es über vier Seiten vor mir. Scheisse, ist das geil. Ein Portrait von R2D2 fällt mir sofort auf, nur wenige Seiten hinter der Queen. Wie cool ist das denn? Es ist unglaublich, wen Annie Leibovitz bereits alles fotografiert hat. Es ist aber nicht eine plumpe Sammlung von irgendwelchen Hollywood-Grössen, sondern bei jedem einzelnen Bild hat man das Gefühl, dass Annie es speziell für diesen Menschen inszeniert hat. Mich fasziniert es zu sehen, wie sie Menschen portraitiert, die man aus dem öffentlichen Leben kennt, so aber noch nie gesehen hat. Faszinierend.
Ich schwänzelte um das Buch herum, zog aber einen Kauf angesichts des Preises nicht in Erwägung. Dennoch liess ich mich von dem freundlichen Verkäufer, der die Leidenschaft für Fotobücher offensichtlich teilte, belabern beraten. Er erzählte von der Entstehung des Buches, von dem Papier, die vier unterschiedlichen Cover, limitierter Auflage und und und. Danke, guter Mann. Wir verliessen den Laden ohne Buch, dafür mit einem Hirngespinst. Ich mache es kurz. Etwa eine Woche später stand ich wieder im Laden und bestellte den verdammten Schinken. Ich habe bereits so viel Geld für fotografischen Schnickschnack ausgegeben, meistens irgendwelche Technik. Nichts davon hat Bestand, jedes einzelne Spielzeug verliert lediglich an Wert und wird irgendwann wieder verkauft, ersetzt oder verschrottet. Bei so einem Buch ist es etwas anderes, das wird mit der Zeit eher besser. Man braucht meiner Meinung nach länger, um so ein Buch zu verstehen, als eine neue Kamera. Mein Bauch sagte mir “Zugreifen” und meine Frau nickte ebenfalls ab.
Vor wenigen Tagen kam das Buch nun an. Ein riesiger Karton von ca. 50 Kg. Entschieden hatte ich mich übrigens für das Cover mit Patti Smith, da mich das spontan ansprach. Nun ging es ans Auspacken und Aufstellen. Das war schon irgendwie ein besonderer Moment, den ich dann auch spontan mit ein paar Fotos festhalten musste. Um einen Grössenvergleich zu geben, musste dann auch mein Hund Scampi mal wieder als Model herhalten. Zum Glück wird das Buch inkl. Ständer geliefert. Ohne diesen Ständer wäre es gar nicht handhabbar. Es ist einfach nur riesig, schwer und unhandlich. Hat man das Buch aber auf den Ständer gewuchtet und schlägt es zum ersten mal auf, wird man automatisch ganz ruhig und fängt an das erste Bild aufzusaugen. WOW!
Nun steht das Buch seit einigen Tagen als Möbelstück in unserem Wohnzimmer. Ich habe erst einen Bruchteil der Bilder angeschaut. Jeden Tag blättere ich eine Seite um und lasse es den ganzen Tag so liegen, um immer mal wieder drauf zu schauen. Ich lese in dem Begleitbuch den Text zu dem jeweiligen Bild und schaue es mir an. Ich glaube in keinem Fotobuch wurde ich bisher so lange auf einer Seite gefesselt. Aber das ist auch irgendwie kein Buch, sondern jede einzelne Seite ein Kunstwerk für sich.
Vielen Dank Annie Leibovitz und Benedikt Taschen für diese grossartige Inspiration.
paddy, haste richtig gemacht. hatte bei den ersten zeilen noch gedacht: “mann, der schwärmt und brennt so dafür, kauft so viel kram und dann.……”
viele schöne momente mit “annie”.
Viel Spaß mit diesem Schinken. Man braucht sehr lange, bis man ein Fotobuch kennt und mit jedem weiteren anschauen, entdeckt man etwas neues. Im Gegensatz zu langsam veraltender Technik ist es ein Werk fürs Leben, an dem man mehrere Jahrzehnte Freude hat!
Achso. Wenn die Gattin es absegnet ist alles gut 😉
Grüße vom Niederrhein!
Bücher haben trotz Internet, Social Media und dem steten Wandel in der Informationswelt immer noch etwas magisches. Ich könnte mir jeden Tag welche kaufen und keines meiner digitalen Zeitschriftenabos hat jemals so viel Freude bei mir hervorgerufen wie ein Buch oder eine Zeitschrift, die ich in die Hand nehmen kann.
Ein wirklich schönes Buch, das den stolzen Preis sicherlich vergessen macht (ist ja auch ein Zeichen, daß die Geschäfte gut laufen ;)).
Weiterhin viel Freude damit.
Geil! Ich mag sowas.
Das wirkt wie eine Art Altar, der jedem Gast zeigt: “Ich liebe die Fotografie!”
Ich habe viel zu wenig Bildbände stelle ich grad fest … Hm … 🙂
Viel Spaß mit dem Buch!
VG
Björn
Wow.
Eigentlich ist das völlig ausreichend als Kommentar. Und auch wieder nicht.
Du triffst meine eigenen Gedanken zu Annie ziemlich auf den Kopf. Als ich zum ersten Mal von dem Buch gelesen habe, wollte ich es auch sofort in (irgendeinen) Warenkorb ziehen. Bis ich dann am Preisschild angekommen bin.
Ich blicke mehr als neidvoll auf Deinen Altar und ziehe vor Deiner Argumentation und Stringenz den Hut! Ganz ganz viel Freude mit diesem Werk und liebe Grüße - Joe
Wow! Ich bin sprachlos. Dein Artikel alleine hätte mich fast schon dazu bewogen nach Hamburg zu diesem Laden zu fahren. Zum Glück hab ich vorher doch auf der Website den Preis zu diesem Buch nachgeschaut. Aber ich bin mir sicher, jeder Cent ist es wert. Toll! Ich wünsch dir ganz viel ruhige und freie Zeit mit diesem Schatz.
Mensch Paddy und ich dachte schon Du kannst wiederstehen.
Wenn es in einem Jahr als Taschenbuch erscheint schlag ich auch zu.
Hut ab, es war eine kluge Entscheidung.
Ralf
Da denke ich mir, der Paddy hat mal wieder was geschrieben, lese vor mich hin, denke mir, oh, nettes Buch, hat der Paddy bestimmt so 400 € bezahlt…google…denke: ACH DU SCHEISSE, IST DAS TEUER!!!
Aber egal! Lieber Paddy, da hast Du Dir etwas richtig schönes gegönnt und frei nach Dir: Haben ist besser als brauchen. VIEL SPAß! 🙂