Die Dramaturgie eines Fotoshootings

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Als Foto­graf bist Du min­des­tens zu 50% auch Psy­cho­lo­ge. Wir wis­sen alle, dass das schöns­te Lichts nichts nutzt, wenn der Aus­druck des Models nichts passt. Foto­gra­fiert man häu­fig auch Nor­ma­los, also kei­ne pro­fes­sio­nel­len Models, kann man ein Lied davon sin­gen, wie wich­tig der kom­mu­ni­ka­ti­ve Aspekt in einem Foto­shoo­ting ist. Über den Erfolg und die Ergeb­nis­se ent­schei­det der Sig­mund Freud im Foto­gra­fen. Da auch mein Shoo­ting mit Lot­ta vor eini­gen Tagen eine ganz eige­ne Dra­ma­tur­gie auf­wies, fühl­te ich mich zu die­sem Arti­kel inspiriert.

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“Wie schaf­fe ich es, dass mein Model sexy guckt?” ist eine häu­fig gestell­te Fra­ge in mei­nen Work­shops. Eben­so sämt­li­che wei­te­re Emo­tio­nen, die im klei­nen Hand­buch des Schau­spie­lers ver­zeich­net sind. Das ist mei­ner Mei­nung nach der fal­sche Ansatz, zumin­dest bei uns Nor­ma­los. Ich wür­de nie in ein Foto­shoo­ting hin­ein gehen, mit dem Anspruch ein Bild zu machen, das mein Gegen­über sexy gucken lässt. Sowas ent­wi­ckelt sich, denn jedes Foto­shoo­ting hat sei­ne eige­ne Dra­ma­tur­gie. Der Aus­gang der Hand­lung ist meis­tens offen.

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Möch­test Du einen Men­schen foto­gra­fie­ren, soll­test Du Dich für ihn inter­es­sie­ren. Dass sich jemand frem­des vor Dei­ner Kame­ra aus­zieht, erreichst Du nicht, indem Du von vorn­her­ein die­ses Ziel vor Augen hast. Ich neh­me mir daher bei jedem Shoo­ting etwas Zeit, um erst ein­mal ein paar Wor­te zu wech­seln und fan­ge danach ganz lang­sam an. Beim Gespräch reden wir über die Klei­dung. Wenn es sich nicht um ein insze­nier­tes Shoo­ting han­delt, dann bringt der Prot­ago­nist meis­tens die eige­ne Klei­dung mit. Beim stö­bern dar­in bekommt man meist einen ers­ten Ein­druck von dem, was im Kopf des ver­meint­li­chen Models vor­geht. Sta­pelt sich die Unter­wä­sche im Kof­fer, so wur­de immer­hin schon mal ein Gedan­ke dar­an ver­schwen­det, dass man evtl. auch ein paar Des­sous­fo­tos machen könn­te. Und selbst wenn der Kof­fer vol­ler sexy Fum­mel ist, so tust Du gut dar­an nicht gleich Dei­ne Favo­ri­ten her­aus zu picken. Der Mann von Welt steht über den Din­gen und betrach­tet den Kof­fer vol­ler Klei­der aus der künst­le­ri­schen Per­spek­ti­ve und phi­lo­so­phiert über Far­ben und Out­fits. Auch wenn ich abso­lu­ter Fashion-Pun­ker bin, so habe ich doch ein klein wenig Erfah­rung gesam­melt, was auf Fotos gut aus­sieht. Das wis­sen selbst Shop­ping-Queens die­ser Erde oft nicht, denn die Kame­ra sieht anders als das Auge.

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Zum Start des Shoo­tings müs­sen bei­de Sei­ten zunächst warm wer­den, auch mit­ein­an­der. Ich muss mein Model ken­nen­ler­nen und ein Gefühl dafür bekom­men, was geht und was nicht. Ein paar Por­traits in ein­fa­cher Pose machen meist einen guten Job als Tür­öff­ner. Dabei unter­hal­ten wir uns und ich gebe hin und wie­der ein paar Anwei­sun­gen zur Posi­ti­on. Beson­ders zu Beginn hal­te ich aber zu viel Anwei­sung gar nicht für unbe­dingt gut. Ich las­se mein Model ein­fach mal machen. Wer weiss was dabei her­aus kommt? Zwar betont nahe­zu jeder Zwei­te, dass er oder sie äus­serst unfo­to­gen ist, aber das behaup­tet so ziem­lich jeder von sich selbst. Also ein­fach mal machen las­sen und gucken was pas­siert. Meist ent­schei­det sich dann in wel­che Rich­tung ein Shoo­ting geht. Du merkst auch, ob die Che­mie stimmt und wenn dem so ist, dann wer­det Ihr sowas ähn­li­ches wie Spaß haben. Passt es zwi­schen mir und dem Model, dann ist eigent­lich alles wei­te­re easy und man stei­gert sich von Bild zu Bild. Die Posen wer­den aus­ge­fal­le­ner und ich fan­ge an zu fan­ta­sie­ren. Ja das klingt jetzt ein biss­chen als wenn ich auf LSD bin. Ich stel­le mir mein Model in ver­schie­de­nen Situa­tio­nen vor und erzäh­le davon. “Stell Dir vor…” ist meist ein guter Start, um etwas zu ver­mit­teln. Film­ti­tel hel­fen dabei auch. Erzählt man dem Model wel­che Fil­me man selbst mag, dann ver­mit­telt man damit auch Bil­der, die man gut fin­det. Im Ide­al­fall wird mein Prot­ago­nist dar­auf ein­stei­gen und selbst Fil­me nen­nen, die er oder sie mag. Kennt Ihr die­sen Blick von Uma Thur­man in Pulp Fic­tion, wo sie mit Ziga­ret­te auf dem Bett liegt? Bei mir macht es da sofort Klick.

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Das ist der Ide­al­fall und wenn sich zwei tref­fen, wo die Che­mie stimmt, dann läuft es. Aber man trifft auch auf Men­schen, die total unsi­cher sind und es has­sen vor der Kame­ra zu ste­hen. Da läuft es meist etwas anders ab. Aber auch hier ist das Mot­to “Schritt für Schritt”. Ein Shoo­ting hat eine gewis­se Dra­ma­tur­gie, die immer mit dem Ken­nen­ler­nen beginnt. Danach macht man sich warm, schiesst die ers­ten Fotos, um zu zei­gen, dass es nicht weh tut. Damit schaf­fe ich Ver­trau­en, zei­ge hin und wie­der auch ein paar Ergeb­nis­se (bes­ser die guten Bil­der zei­gen). Nun wer­den erst mal ein paar Bum­mer geschos­sen. So nen­ne ich Fotos, bei denen ich mir sicher bin, dass sie gut wer­den und ein­fach umzu­set­zen sind. Zwi­schen­durch las­se ich Sät­ze fal­len wie “wir haben schon rich­tig viel gutes Zeug im Kas­ten”. Das baut auf und ebnet den Weg für Expe­ri­men­te. “Lass mal etwas ver­su­chen”. Etwas zu ver­su­chen ist unver­fäng­lich. Damit sug­ge­riert man, dass es nicht schlimm ist, wenn es schief geht, aber dafür auch anders her­um rich­tig gut wer­den kann. Jetzt wird es inter­es­sant und es ent­ste­hen die wirk­lich guten Bil­der. Die, mit denen das Model viel­leicht nicht gerech­net hat. Wenn dabei die Che­mie kocht, dann kann man in alle Rich­tun­gen gehen. Nun ist Zeit für den Höhe­punkt, es darf aus­ge­fal­le­ner wer­den, die Posen pro­vo­kan­ter, die Klei­dung viel­leicht sogar etwas weni­ger. Aber hey, das ist kein Muss. Wenn es sein soll, dann mache ich es aber zum Schluß. Auf jeden Fall wer­den die Bil­der zum Ende hin immer bes­ser, der Ton meist schon aus­ge­las­se­ner. Man hat das Gefühl sich gut zu ken­nen, frot­zelt rum. “Frot­zeln” ist ein coo­les Wort, oder?

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Irgend­wie hat jedes Foto­shoo­ting eine eige­ne klei­ne Dra­ma­tur­gie, die ich auch an mir selbst spü­re. Am Anfang brau­che ich auch etwas, um auf Tem­pe­ra­tur zu kom­men und irgend­wann macht es Klick. Das ist der Zeit­punkt, wo ich zu dem jewei­li­gen Model ein Bild habe und mir eine Vor­stel­lung mache von dem, was am Ende her­aus kom­men soll.

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Mei­ner Mei­nung nach nicht hilf­reich ist es dar­über nach­zu­den­ken, wie man die ein oder ande­re Emo­ti­on nun auf Kom­man­do aus dem Model her­aus bekommt. Din­ge die ich furcht­bar fin­de sind so Sät­ze wie “guck mal sexy”, “lach mal” oder mein Lieb­ling “schrei mal”. Wie­so soll sie jetzt schrei­en? Höchs­tens weil der Foto­graf zum schrei­en ist! 😉

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7 Gedanken zu „Die Dramaturgie eines Fotoshootings“

  1. Wie­der sehr schön geschrie­ben Paddy.
    “Lach mal!” funk­tio­niert halt ein­fach nicht.
    Da brauch es schon ein wenig mehr Fingerspitzegefühl.
    Als Foto­graf muss man da, am bes­ten in den ers­ten paar Minu­ten, her­aus­fin­den wie der gegen­über tickt.

    Antworten
  2. Sehr schön beschrie­ben, genau so isses. Bei mir.
    Ich wür­de sogar sagen, ich foto­gra­fier eigent­lich nur noch Men­schen, weil ich die Dra­ma­tur­gie, die Ent­wick­lung wäh­rend des Shoo­tings so span­nend fin­de. Die Bil­der sind dann nur noch Beweis, nur noch Doku­men­ta­ti­on, wie gut es geklappt hat.
    Sät­ze wie “schau mal sexy” benut­ze ich wäh­rend des Shoo­tings immer. Näm­lich genau dann, wenn bei­de Sei­ten wis­sen, dass das abso­lut wit­zig und nicht ernst gemeint ist und nur dazu führt, dass man lacht.
    Lachen ist über­haupt der Tür­öff­ner zur Ent­spannt­heit und Läs­sig­keit, die ein gutes Shoo­ting braucht. Dazu muss man als Foto­graf in Vor­leis­tung gehen und kei­ne Angst haben, sich zum Affen zu machen. Oder ne Pose vor­zu­ma­chen. Was meis­tens aufs Glei­che hinausläuft.
    Wer mit­ein­an­der lacht, kann auch mit­ein­an­der ernst sein, weil bei­de wis­sen, dass danach wie­der gelacht wird. Und so kann man auch emo­tio­nal “schwe­re­re” The­men mit­ein­an­der ange­hen, ohne dass es pein­lich oder schwer­mü­tig wird.
    Und am Ende, wenn bei­de kei­ne Scheu mehr vor­ein­an­der haben, kann man auch The­men wie Akt ange­hen, Posen und Bli­cke aus­pro­bie­ren. Nach mei­ner Erfah­rung lacht man dabei genau­so­viel, wie vor­her bei Por­trait­auf­nah­men, weil das Ver­hält­nis zuein­an­der eigent­lich auch kein ande­res ist. 

    So soll­te ein mei­ner Mei­nung nach jeden­falls sein.
    revilo - oliver

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  3. Hi Pad­dy,

    mal wie­der 😉 ein exzel­len­ter Arti­kel! Ein Genuss zum Lesen & Lernen!
    Deckt sich auch mit mei­nen Erfahrungen…es muss erst ein gewis­ses “Eis” gebro­chen wer­den für ein tol­les, span­nen­des und erfolg­rei­ches Shoo­ting mit “wah­ren Bummern”!
    Ich kann noch hin­zu­fü­gen, dass für die all­ge­mei­ne Atmo­sphä­re des Shoo­tings und als wei­te­res Hilfs­mit­tel um eine gute Ver­bin­dung zum Model sowie auch das Posen zu erleich­tern pas­sen­de oder gene­rell locke­re Musik im Hin­ter­grund bei Shoo­tings hel­fen kön­nen - bei mir jedenfalls!

    PS: By the way dei­ne Foto­ta­sche (nsei­te) müss­te auch mal upge­da­tet wer­den in Anleh­nung an den Flohmarkt…
    Ich glau­be da sind eini­ge Nikon Objek­ti­ve (105er etc.) mitt­ler­wei­le nicht mehr in dei­nem Besitz…;)

    Antworten
  4. Por­träts sind auch Begeg­nun­gen mit sich selbst.
    Por­träts, die aus einem wert­schät­zen­den Dia­log her­aus ent­ste­hen, zei­gen Spu­ren einer Begeg­nung und Insze­nie­rung, der Offen­heit, Selbst­er­fin­dung und des Respekts. Zwei Men­schen bewe­gen sich auf­ein­an­der zu, der eine, um in sei­nem Bild zu sein, der ande­re, um sein Bild zu fin­den. Was sie äußer­lich trennt, ist die Tech­nik, der eine vor, der ande­re hin­ter dem Appa­rat. Die Glaub­wür­dig­keit die­ser gemein­sa­men Momen­te ent­steht dann, wenn bei­de Sei­ten das Ziel und den Nut­zen der Bil­der geklärt haben und eine Rich­tung vor­ge­ge­ben, ob das Bild­ergeb­nis sich auf Abbil­der oder Sinn­bil­der aus­rich­tet. Ein­fach­heit ist der Schlüs­sel für die Türen des Sol­len und Wol­lens, denn je ein­fa­cher ein Por­trät gestal­tet und insze­niert wird, des­to kla­rer wird das Wol­len des Bil­des. Befin­det sich das Sol­len (die Mach­art) des Bil­der­ma­chers im Hin­ter­grund des Fotos, ver­blas­sen ver­wen­de­te Bild­mit­tel zuguns­ten des Inhalts. Wirkt die Mach­art zu domi­nant, wer­den Por­trät­fo­tos auf Aus­stel­lungs- und Image­wer­te fixiert. Für Image­kam­pa­gnen, künst­le­ri­sche Bild­spra­chen ist die Domi­nanz der Mach­art sicher sinn­voll, führt jedoch zum Ver­lust der Glaub­wür­dig­keit und zur inhalt­li­chen Reduk­ti­on des Abge­bil­de­ten. Was für foto­gra­fi­sche Bil­der im All­ge­mei­nen gilt, steht auch für Por­trät­fo­tos: Der Wert einer Foto­gra­fie liegt in ihrem Gebrauch und Nut­zen. Gera­de die Fra­gen nach dem Zweck, der Absicht, dem Nut­zen beleuch­ten das Was und Wie eines Por­träts. Wor­um geht es in die­sem Bild? Wofür ste­hen Bil­der­ma­cher und Abgebildete?

    In einem gelun­ge­nen Por­trät zei­gen Foto­gra­fen nicht nur das «Sicht­ba­re» eines Men­schen, son­dern dar­über hin­aus machen sie etwas sicht­bar, was über eine Bild­idee ver­kör­pert wird. Das kann mit oder ohne per­sön­li­che Nähe zum Abge­bil­de­ten gesche­hen, weil zur visu­el­len Umset­zung einer Idee Sorg­falt und Auf­merk­sam­keit für die Situa­ti­on und Ein­füh­lungs­ver­mö­gen in die Per­son erfor­der­lich sind. Sind in die­ser Situa­ti­on die Gren­zen abge­klärt, kann sich die gegen­sei­tig not­wen­di­ge Beein­flus­sung nicht in Mani­pu­la­tio­nen umkeh­ren. Der Grat zwi­schen Beein­flus­sung und Mani­pu­la­ti­on ist sehr schmal, weil eine Art «Kom­pli­zen­schaft» der Beteilg­ten die für ein Por­trät not­wen­di­ge Distanz ver­rin­gert. Die­se Hal­tung zwi­schen Nähe und Distanz beschreibt Wil­fried Wie­gand so: «Jedes Por­trät ist das Doku­ment einer Begeg­nung. Auch wenn der Foto­graf nor­ma­ler­wei­se nicht im Bild zu sehen ist, spü­ren wir, dass er dabei war… Auf dem Gesicht des Dar­ge­stell­ten liegt der Abglanz eines ande­ren Menschen.»
    Zitiert aus dem Buch “Foto­ka­rao­ke”, von Die­ter Zinn

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