Liebes Facebook,
ich muss heute mal ein paar Gedanken aufschreiben. Du bedeutest mir etwas, sonst würde ich das nicht tun, aber es ist schon lange nicht mehr so wie früher und unsere tolle Freundschaft beginnt zu bröckeln.
Die Idee hinter Deinem Netzwerk ist grandios. Du hast es geschafft, dass ich mit Menschen in Kontakt bin, die ich sonst vollkommen aus den Augen verloren hätte. Alte Schulkameraden habe ich wieder getroffen und Freundschaften wurden reaktiviert. Ach ist das schön, wenn man in Erinnerungen über alte Zeiten schwelgen kann. Ich finde es toll tagtäglich zu sehen, was die Leute aus meinem direkten Umfeld so treiben. Kaum zu glauben, aber bei wirklich guten Freunden, kann man sich sogar über ein Selfie freuen. Hat man eine gemeinsame Vergangenheit, so freut man sich so ziemlich über jeden Quatsch.
Schnell wurde aber auch klar, dass das Thema Datenschutz nicht zu unterschätzen ist. Die Fotos von unserer durchzechten Nach auf der Reeperbahn, die wo Stefan am Ende lustig dekoriert vor der Polizeiwache schläft, die hätte sein neuer Arbeitgeber wirklich nicht sehen müssen. Sorry, potentieller neuer Arbeitgeber meine ich natürlich. Und wenn Stefan schon keine Ahnung von den ganzen komplizierten Datenschutzeinstellungen hat, wie soll er es dann seiner Tochter beibringen? Aber gut, das ist ein grundsätzliches Problem aller sozialen Medien und nicht unbedingt nur Deins. Eine Vorbildfunktion hast Du, liebes Facebook, aber schon.
Ich gestehe, dass ich mit dem ganzen Datenschutz nie Probleme hatte. Bei meinen Jobs war es glücklicherweise so, dass die Chefs meistens diejenigen waren, die dort vor der Polizeiwache lagen. Ich habe meistens in Firmen gearbeitet, wo das alles recht locker war, irgendwas mit Medien, Du weisst schon. Irgendwann habe ich mich selbstständig gemacht und spätestens dann war es mir egal. Von nun an, musste ich nur noch darauf achten, wie ich auf potentielle Kunden wirke. Aber hey, auch das hat mich persönlich nicht so wirklich interessiert.
Du hast irgendwann die Facebook-Fanseiten eingeführt. Eine ganz tolle Idee. Ich konnte dort meine Arbeiten präsentieren. Schon klar, dass nicht jeden die Bilder von Stefan in der Gosse interessieren und daher war die Trennung zwischen privaten Profil und Fanseite praktisch. Auf der Fanseite war ich etwas selektiver und habe dort nur Dinge gepostet, die mit der Fotografie zu tun haben. Ach klar, ab und an auch mal ein bisschen Blödsinn, denn so ganz unnahbar will man ja auch nicht sein. Das fanden einige Leute gut und sind mir gefolgt. Das waren dann meine Fans. Sehr cool.
Im Gegenzug habe ich es genauso getan. Alle Menschen oder Unternehmen, die mich interessieren, bin ich gefolgt, bin Fan geworden. Der Begriff Fan ist meiner Meinung nach zwar etwas zu stark für diese Interessensbekundung, aber durchaus ok, kann ich mit leben. Morgens beim Kaffee bin ich auf meine Startseite (die Chronik) gegangen und habe meine ganz persönlichen Nachrichten gelesen. Das war toll. Nun gut, es hatten sich einige hundert virtuelle Freundschaften gebildet und ich folgte auch einigen hundert Fanseiten. Die Chronik wurde teilweise sehr lang. Aber egal, ist doch meine Entscheidung. Mir war es egal, wie lang die Chronik wurde, denn ich hatte ja jeden einzelnen Freund und jede Fanseite persönlich in meine Chronik verfrachtet.
Und dann wurde alles anders. Hey Facebook, wir können alle nicht von Luft, Liebe und Likes leben. Es war klar, dass Du irgendwann Geld verdienen musst. Facebook zu betreuen und zu pflegen konnte kein Freizeitspaß mehr sein. Aber mal ehrlich, für das was Du geschaffen hast, hast Du auch eine ordentliche Entlohnung verdient. Du gingst an die Börse und Dein Papa Mark war über Nacht steinreich. Plötzlich musstest Du aber die gierigen Investoren befriedigen. Diese Leute leisten selbst nichts. Sie geben ein bisschen von ihrem Geld und spekulieren darauf, dass sie etwas später viel mehr zurück bekommen. Das geht nur, wenn das Unternehmen, also Du Facebook, auch mehr Geld verdient. Wie diese Leute ticken sieht man z.B. an diesem grossen Tekkiladen, den alle kennen und wo alle kaufen. Die haben letztens wieder einen Rekordgewinn eingefahren, denen geht es wunderprächtig, die haben quasi eine Gelddruckmaschine. Aber die gierigen Investmentluschen hatten auf noch mehr gepokert. Als sie nicht noch mehr bekamen, waren sie sofort beleidigt. Die Typen scheinen psychisch etwas labil zu sein. Dann haben sie aufgestampft wie Rumpelstilzchen und einfach ein paar ihrer Anteile verkauft um mal so richtig Druck zu machen. Schwups war der Laden ein paar Milliarden weniger wert. Toll, gut gemacht.
Dein Vatti Mark hatte die Seiten gewechselt. Er konnte sich nicht mehr um uns kümmern, schon gar nicht um so einen einzelnen kleinen Fotografen. Er musste von nun an die Investmentfritzen glücklich machen. Also hast Du Werbung verpasst bekommen, um Geld zu machen. Ich kann mit Werbung sehr gut leben. Hey, wenn ich Dich dafür weiterhin kostenlos nutzen kann, ist doch super. Andere Unternehmen bezahlen Dich und ich kann weiter machen wie bisher. Dank moderner Techniken hast Du mir sogar Werbung angezeigt, die offensichtlich auch noch meinen Interessen entsprach. Ich habe sogar selbst Werbung geschaltet. Z.B. für meine Fotokurse oder meine Videotrainings. Das hat super geklappt, denn damit habe ich neue Käufer gewonnen und musste nicht mal grosse Summen bezahlen, wie bei Anzeigen in Zeitschriften. Durch Plattformen wie Google und Facebook war ich überhaupt in der Lage als One-Man-Show meine kleine Firma aufzubauen.
Aber irgendwas war plötzlich komisch. Ich war mir ganz sicher damals die Fanseite des Ladens auf der Reeperbahn geliket zu haben. Der, in dem Stefan damals abgestürzt ist. Die posteten immer ihr aktuelles Programm. Super, um auf dem Laufenden zu bleiben. Aber plötzlich kam nichts mehr. Ich habe dann mal nachgeschaut und war erschrocken was ich alles verpasst hatte. Auf meiner Fanseite war auch irgendwas anders. Mal bekam ein Foto 10 Likes und ein anderes mal 500. Klar findet nicht jeder jedes Foto gut, aber die Schwankungen waren schon krass.
Etwas Recherche ergab, dass Du dieses Ding namens “Algorithmus” irgendwie angepasst hattest. Du hast uns erzählt, dass Du für uns die wirklich relevanten Inhalte herausfiltern würdest und den Quatsch entfernst. Kumpel, mal ehrlich. Woher willst Du bitte wissen, was mich interessiert? Mein Geschmack ist so skurril, den kannst Du gar nicht errechnen. Du hast doch keine Ahnung. Mich nervt das so richtig an. Ich suche mir meine gewünschten Inhalte mühsam zusammen und Du wirfst mit Deinem Algorithmus alles wieder über den Haufen. Die morgentliche Lektüre meiner Chronik wurde ständig uninteressanter.
Aus Sicht meiner Fanseite ist das auch irgendwie voll doof. Plötzlich bekamen die tausenden Fans meine Inhalte nicht mehr angezeigt. Ich habe viel Zeit in den Aufbau meiner Fanseite gesteckt. Viele Fotos habe ich veröffentlicht, unzählige Zeilen Text geschrieben. Alles auf Deiner Plattform. Ich fand es auch ok Werbung zu schalten, um neue Leute auf die Seite zu locken. Aber all das ist für die Katz. Im Schnitt sehen nur etwa 20-25% meine Inhalte. Wenn ich mehr will, dann kann ich das bekommen, indem ich wieder an Dich zahle. Fassen wir zusammen: ich kann Werbung schalten um neue Fans zu gewinnen. Damit diese neuen Fans dann auch die Inhalte sehen, muss ich diese noch einmal bewerben. Hier ist doch was faul liebes Facebook.
Dein Algorithmus hat auch ganz seltsame Verhaltensweien gefördert. Da haben sich dann zunächst mal einige Leute zu Social Media Experten ernannt. Das sind diejenigen, die so tun, als wenn sie den Algorithmus ganz genau kennen. Die erzählen dann, dass man bestimmte Dinge tun muss, damit die Inhalte ohne Werbung wieder bei den Fans eingeblendet werden. Poste so und so oft pro Tag, um die Uhrzeit, so viele Fotos mit so viel Textanteil usw. bla bla. Natürlich muss man regelmäßig posten. Am besten zwei- bis dreimal am Tag. Aber mal ehrlich, wer hat schon so ein interessantes Leben, dass zweimal am Tag etwas passiert, das man der Welt mitteilen müsste. Also fingen Fotografen und Models an ihre tollen Bildserien nicht mehr auf einmal zu posten, sondern jeden Tag ein Bild. Dass diese Bilder nahezu identisch waren, hat jeder gesehen. Es wirkt auch ziemlich angestrengt, aber es war halt für den Algorithmus. Dann hat der Social Media Guru auch gesagt, dass man mit seinen Fans interagieren muss. Also wurde jedes Foto mit einem “Hallo, wie geht es Euch?. Was macht Ihr heute?” betitelt.
Liebes Facebook, was hast Du aus den Leuten gemacht? Man sollte doch dann etwas posten, wenn man etwas zu sagen hat und nicht wenn der Algorithmus es erwartet. Wir, diejenigen die Dich lieben, leben ständig zwischen der Entscheidung die Fans zu nerven und den Algorithmus zu befriedigen. Da läuft doch was richtig schief. Dieser Zwang täglich zwei Posts rauszuhauen ist sowas von nervig, ich kann es gar nicht beschreiben. Es gibt Menschen, die sind wirklich so interessant, dass diese zwei täglichen Post auch echt interessant sind, aber was macht der Hobbyfotograf, der alle zwei Wochen ein Shooting hat? Der muss dann die Bilder dieses Shootings auf 14 Tage verteilen. “Heute zeige ich Euch noch mal was aus dem Shooting .…”. “Heute habe ich auf meiner Festplatte noch was für Euch gefunden …”. Ist es das, was Du wolltest? Bei mir hat das einen ganz komischen Effekt. Fotografen, die ich sehr mag und schätze, habe ich aus meiner Chronik geschmissen. Ich gehe lieber alle 14 Tage mal auf deren Seite und gucke, was passiert ist. Bilder, die echt toll sind, fangen an mich zu nerven, weil ich schon fünf ähnliche in den letzten Tagen zuvor gesehen habe. Du und Dein beschissener Algorithmus veränderst Menschen.
Wir wollen alle ein bisschen Aufmerksamkeit für unsere Fotos. Natürlich freuen wir uns über Fans und Likes. Wer sagt, dass ihm Likes total egal sind, der hat auf Facebook nichts verloren. Aber es kann doch nicht sein, dass Dein verkackter Algorithmus bestimmt wer nun wieviel Aufmerksamkeit bekommt. Das will ich selbst entscheiden. Es soll mein Problem sein, wenn meine Chronik jeden Morgen 900 Bildschirmseiten füllt. Dafür wurden doch Mäuse mit Scrollrad erfunden, oder etwa nicht? Und überhaupt, ohne Scrollrad würdest Du gar nicht funktionieren, hast Du Dich schon mal beim Erfinder des Scrollrads bedankt? Ich schweife ab. Ich will entscheiden, was ich sehe. Punkt Punkt Doppelpunkt.
Ja Facebook, Du musst Geld verdienen. Das müssen wir alle. Es ist nichts Verwerfliches daran. Aber dabei nur an die Investfritzen zu denken und nicht an uns User, geht irgendwann in die Hose. Ich gebe Dir noch 3-4 Jahre, wenn Du so weiter machst, wie bisher. Und dann? Guck Dir Yahoo an, das wird mit Dir passieren.
Du hast viele Baustellen. Alleine schon diese ganze Zensurdiskussion um Nippel und Hater. Ein falscher Nippel und schon ist das Konto für ein paar Tage gesperrt. Ich kann verstehen, dass Du keine Nippel magst, Du bist schliesslich ein Ami. Aber Du hast da etwas aufgebaut, das für viele Deiner User ein Teil ihres Geschäfts geworden ist. Du warnst nicht, Du holst gleich die Keule raus. Schwups, ist man handlungsunfähig. Das führt aber auch dazu, dass ich heute niemandem mehr Facebook als primäre Plattform ans Herz lege. Es geht nichts über die eigene Webseite, wo man Herr über den Inhalt ist. Was ist denn, wenn Du plötzlich Deine Regeln änderst und plötzlich meine Seite komplett sperrst? Nur weil Dir ein Furz quer sitzt. Ich kann nur schwer auf Dich bauen. Mit Dir zu planen ist unmöglich.
Versteh mich nicht falsch. Ich mag Dich. Du bist Teil meines Fotografenlebens. Freunde müssen sich aber auch sagen können, wenn etwas schief läuft und momentan bin ich total hin und her gerissen zwischen Liebe und Hass. Ich liebe die einfache Möglichkeit eine eigene Community aufzubauen, die Einfachheit zu posten. Alles geht mit wenigen Klicks. Liken, Teilen, Kommentieren … alles super Ideen. Aber die Sache mit Deinem Algorithmus, die musst Du langsam echt überdenken.
Ich hoffe Du bekommst die Kurve.
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2 Gedanken zu „Facebook, wir müssen reden“
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