Es hatte am Tag zuvor ununterbrochen geregnet. Ich war ein wenig gefrustet. Zuerst hatte unser Schiff Verspätung, was daran lag, dass im Hafen von Yangshan kein Liegeplatz frei war. Dann verzögerte sich meine Abfahrt in die Innenstadt von Shanghai. Immerhin ein Trip von rund 100 km. Wenn ich überhaupt noch etwas von Shanghai sehen wollte, musste ich meinen Flug umbuchen. Dadurch konnte ich zwei zusätzliche Tage rausholen und zumindest ein wenig an Shanghai schnuppern. Und dann ein Tag nur Regen. Da höre ich immer das Gesabbel, dass man auch bei schlechtem Wetter tolle Fotos machen kann. Ja, kann man auch. Aber wenn Du erst mal fünf Stunden durch den Regen gelatscht bist, dann verfluchst Du die Schwätzer alle und wünschst Dir einfach nur, dass es aufhört zu regnen. Sonne muss es ja nicht gleich sein.
Aber am zweiten Tag hatte es aufgehört. Das musste ich ausnutzen. Ich hatte mir als Ziel das Dörfchen Zhujiajiao ausgesucht. Das zu schreiben fällt schon schwer, es auszusprechen versuche ich gar nicht erst. Sagt doch mal dreimal hintereinander Zhujiajiao und schreibt es dann auch noch auf. Dieses Dorf wird auch Venedig Shanghais genannt, da es von kleinen Kanälen und vielen Brücken geprägt ist. Es hat noch ein bisschen was ursprüngliches und ist ein toller Gegensatz zu dem recht modernen Shanghai, wo auch Starbucks, McDonalds und H&M die Einkaufsmeilen säumen. Ich war unter Zeitdruck. Am nächsten Tag ging schon mein Flieger. Ich wollte ein bisschen Abenteuer und mit den Einheimischen reisen. Busse fuhren vom Stadtzentrum Shanghais nach Zhujiajiao. Wie komme ich zu der Station? Sowas wie Fahrpläne ist gar nicht leicht zu recherchieren. Ich stieß auf diverse Infos in Foren. Kurze Zeit später fand ich mich auf dem Rücksitz eines Taxis wieder. Keine Zeit für Experimente, ich wollte so schnell wie möglich dort hin. Auch mit dem Taxi war es eine Fahrt von ca. einer Stunde, die mich fast 200 Yuan kostete. Das sind nicht einmal 30 €, ich fühlte mich ein wenig wie der dekadent reiche Tourist aus Europa.
Der Taxifahrer sprach kein Wort Englisch. Nicht einmal ansatzweise. Vielleicht wollte er es auch nicht. Ich hatte mir im Hotel sowohl meine Ziel-, als auch die Hoteladresse in Chinesisch auf ein Kärtchen schreiben lassen. Ich hielt dem Taxifahrer die Karte vor die Nase und hoffte, dass dort das richtige Ziel geschrieben stand. Angesichts des äußerst dürftigem Englisch des Concierges war eine gewisse Skepsis angebracht. Nun saß ich in einem VW Santana aus den 70er oder 80er Jahren. Die fahren zu Hauf als Taxi durch Shanghai.
Nach etwa einer Stunde Fahrt befand ich mich in einer anderen Welt, einer anderen Zeit. Am Rand der kleinen Kanäle gingen die Menschen den verschiedensten Tätigkeiten nach. Hier wurde gekocht, dort Kokusnüsse aufgeschlagen, Wäsche gewaschen, Bambus geschnitten oder auch einfach nur auf’s Smartphone gestarrt. Zhujiajiao ist ein Ausflugsziel, auch das moderne China reist hierher, um ein Stück Ursprünglichkeit zu erfahren. Das Dorf hat sch darauf eingestellt und bietet den Besuchern entsprechendes an. Hier eine Rundfahrt mit der Gondel, dort ein Souvenir. Als Weißbrot falle ich dennoch auf. Ich streife durch die Straßen und verlasse auch mal die ausgeschilderten Gassen mit ihren Cafés und Lädchen. In den Seitenstraßen bin ich ab von der Fassade für die Touristen und stelle fest, dass es gar nicht so anders ist. Die Menschen hier leben ihr Leben, nur eben teilweise unter der Beobachtung der Besucher.
Beim Essen bin ich nicht so experimentierfreudig, wie manch anderer Weltenbummler. Ich bin vorsichtig bei all den “Leckereien” an den Ständen. Nicht alles, was man essen kann, muss ich auch essen. Ich bin kein kulinarischer Weltenbummler und konzentriere mich lieber darauf die Eindrücke auf Fotos festzuhalten. Teilweise fotografiere ich aus der Situation heraus, blitzschnell mit der Q aus der Hüfte, im Vorbeigehen. Es erfordert etwas Übung, aber macht wahnsinnig viel Spaß. Aber ich verstecke mich nicht und gehe auf viele der Menschen direkt zu. Sie sollen mitbekommen, dass ich sie fotografieren möchte. Einige mögen das und lächeln, andere winken ab und einer ging mit dem Messer auf mich los.
Mit der Q kann ich situativ fotografieren, mit der M hingegen muss ich mir etwas Zeit nehmen. Der fehlende Autofokus, der Blick durch den Sucher, beides erfordert einen Moment, den ich beginne zu geniessen. Erst denken, dann fotografieren. An manchen Plätzen verweile ich mehrere Minuten und beobachte zunächst, bevor ich mich entscheide mein Bild zu machen. Ich will in die Situation eintauchen, sie fühlen und nicht nur wie eine Trophäe abschiessen, um mit möglichst vielen Bildern nach Hause zu kommen. Aber ich kann machen, was ich will, ich falle hier dennoch auf. Es ist schwer Teil des Ganzen zu werden, dafür bräuchte man wohl Zeit, die ich nicht habe. So bleibe ich ein Beobachter, der sich ständig entscheiden muss zwischen dem blitzschnellen Moment und dem wohlkomponierten Bild. Beides mag ich, beides ist für mich Streetfotografie pur.
Offen auf die Menschen zuzugehen und sie zu fotografieren, macht etwas mit mir. Ich bin niemand, der jeden auf der Straße anschnackt. Im Gegenteil, ich beobachte gerne. Es kostet mich Überwindung die Menschen ganz offen zu fotografieren. Aber die Erfahrung ist unbezahlbar. Jedes positive Erlebnis ist ein Hochgefühl, ein Aufschrei, ein lautes YEAH! Das Yeah gilt nicht nur dem Foto, sondern auch den Menschen. Es gibt doch viel mehr Leute, die nichts dagegen haben, sich fotografieren zu lassen. Diejenigen, die es nicht mögen, signalisieren das meistens höflich. OK, das Messer hätte nicht sein müssen, aber auch der Herr hat dabei gelächelt und mir nicht das Gefühl gegeben, dass es mir die Kehle durchschneiden will.
Ich bin vollkommen durchgeschwitzt. Wir haben über 30°C und extrem hohe Luftfeuchtigkeit. Warum habe ich das Gefühl, dass ich der einzige bin, der schwitzt wie ein Schwein? Die Einheimischen kennen es wohl nicht anders oder vielleicht schwitzen sie auch einfach nicht. Natürlich versäume ich es mal wieder genug zu trinken. Das geht mir immer so auf meinen Touren. Ich nehme mir vor, mich irgendwo hinzusetzen und eine ausgiebige Pause zu machen, aber ich kann nicht. Alleine finde ich nicht die Ruhe mich hinzusetzen und etwas zu trinken. Mir fehlt dann die Geselligkeit. Oft sind es kurze Päuschen, die rein der Nahrungsaufnahme dienen und dann geht es schon wieder weiter. Ich habe ja keine Zeit. Mir ist klar, dass dieser Zeitdruck kontraproduktiv ist. Fotos benötigen Zeit, Momente müssen gefunden werden. Du hast Tage, da läuft es nicht und du machst nur ein paar mittelmäßige Fotos. An anderen wiederum bist Du gut drauf und die Momente liegen nur so auf der Straße. An diesem Tag läuft es und ich bin bereit den verregneten Tag zu vergessen. Die Umbuchung des Fluges hat sich doch gelohnt. Zhujiajiao ist ein toller Kontrast zur Millionenmetropole Shanghai mit ihren 23 Millionen Einwohnern. 23 Millionen, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.
Ich muss zurück ins Hotel und eine Dusche nehmen. Verdammt, wo bekomme ich jetzt ein Taxi her? Ich stelle mich an die Straße. Erfolglos. Hier kommt nicht mal eben ein Taxi vorbei. Ich quatsche einfach Leute an, aber kaum jemand spricht Englisch. Eigentlich niemand. Aber es gibt sowas ähnliches wie eine Information im Dörfchen. Dort frage ich nach. Man deutet mir, mich an die Straße zu stellen. Verdammt noch mal. Ich warte noch einmal 15 Minuten, dann schnacke ich einen Polizisten an, der aber auch kein gesteigertes Interesse daran zu haben scheint, dass ich ein Taxi bekomme. Ich gehe noch einmal zu der Information und komme mir verdammt unerwünscht vor. In der Hoffnung mich loszuwerden, greift die Dame nun zum Telefonhörer und 5 Minuten später steige ich in ein Taxi zurück nach Shanghai. Wieder ein VW Santana, wieder kein Wort mit dem Fahrer. Wenigstens scheinen die Infos auf meinen Adresskärtchen zu stimmen. Hallo Dusche.
Das war ein kleiner Vorgeschmack auf mein Buch, das nächstes Jahr erscheinen soll. Es wird neben den Bildern vom Containerschiff auch viele Bilder von meinen Landgängen beinhalten. Ich überlege noch, ob ich kleine Geschichten und Anekdoten, wie in diesem Blogpost mit rein nehme. Was denkt Ihr darüber? Wenn Ihr mir auf meinen fotografischen Abenteuern folgen wollt, dann am besten bei Instagram.
Hallo Paddy,
vielen Dank für deinen interessanten Blogpost. Super geschrieben und mit tollen Bilder untermauert. Ich für meinen Teil würde sowas gerne in dem Buch lesen. Manchmal fehlen mir solche Gedanken (-gänge) bei den # Magazinen, auch wenn ich das Format liebe.
Viele Grüße und immer gut Licht
Sascha
Ich finde beides spannend, jedoch finde und meine ich, dass zu einer Reise auch gerne ein bisschen Text gehört: Was spricht denn gegen eine Seite Text neben dem Establisher eines Kapitels? Ich denke, das lässt sich gut machen in einem Fotobuch!
Freu mich schon sehr auf den Tag, an dem man es vorbestellen kann!
LG,
Stephan
Wenn es zum Buch kommt, so würde ich die Geschichte zu den Bildern unbedingt mit dazugeben. Der Text hier ist doch kurzweilig und nicht überzogen. Mich hat der gefesselt und man versteht das Umfeld zu den Fotos doch viel besser als ohne. Irgendwie sieht man in den Bilder dann auch mehr.
Tolle Fotos… Wird wohl stark geraucht dort drüben… 😉
Moin Paddy,
ich war selber schon sehr häufig dort, teils pünktlich zum Sonnenaufgang, noch bevor die Touristen den beschaulichen Ort erobern. Natürlich habe auch ich versucht die Eindrücke vor Ort einzufangen. Ich muss allerdings blass eingestehen, dass es dir ausserordentlich gut gelungen ist.
Gruß,
Olly
Hallo Paddy,
tolle Bilder!!! Aber ich finde auch die Geschichte dahinter immer wieder interessant und wichtig. Oftmals erhält man dadurch noch mehr Nähe zu den Bildern. Also ich fände es Klasse, wenn du auch Gecshichten zu oder rund um die Bilder mit reinnimmst.
Grüße
Andreas
Hallo Paddy
bitte bitte schreibe diese kleinen Geschichten mit auf. Ich finde das macht auch erst richtig die Würze aus. Ich habe es auch sehr genossen, als ich bei dir war, als du über #1 angefangen hast zu erzählen. Die Fotos sind toll, die Fotos mit Story viel besser
Die Anekdoten sind das Beste! Klar sind die Fotos beeindruckend und typisch Paddy immer sehenswert, aber die Anekdoten drumherum machen es für uns, die wir nicht dabei waren, erst so richtig interessant…
Danke für den Vorgeschmack!
Grüße
Joe
Schöne Geschichte. Und wieder mal tolle e Bilder! Ich bin schon sehr gespannt auf das Buch, die Bilder und hoffe auf viele tolle Eindrücke und Anregungen. Solche Anekdoten würde ich in dem Buch durchaus begrüßen, das gibt dem ganzen noch mehr und ermöglicht jedem einen besseren Einblick und einen Hintergrund zu erhalten. Ist ja nicht jeder täglich auf der ganzen Welt unterwegs und würde sich dann vielleicht bei manchen Dingen nichts drunter vorstellen können.
Beste Grüße
Moritz
Moin Paddy,
Bild + Text = Buch.
Gruß Micha
Hallo Paddy,
die Idee dein Buch mit kleinen Geschichten und Anekdoten aufzulockern finde ich super. Es gibt dem Buch dann etwas von einer Reiseerzählung und nicht nur einem reinen Bildband. Und schreiben kannst du ja auch, also ich würde sagen mach!
Viele Grüße
Hans-Jürgen
Ein deutlich JA zu Geschichten und Anekdoten! Für mich hebt das den Lese-Spass und den Wert der Fotos sehr.
Sehr schöner Artikel mit ganz starken Bildern. Vor allem das mit dem Messer. Mut wird eben belohnt :). Freue mich schon auf das Buch und auf weitere Artikel.
Gruß
Markus
Hey Paddy,
vielen Dank für diesen tollen Vorgeschmack auf Dein Buch. Ich würde mich riesig freuen, später ausser darin zu stöbern, auch noch ein paar von Deinen geschriebene Erlebnissen darin lesen zu können. Damit wäre dann der Tiefgang der Bilder perfekt (um noch ein kleines Wortspiel nachzuschieben 🙂 )
Viele Grüße
Toni
Ein Profi-Fotograf, der nicht nur tolle Fotos macht, sondern dazu noch interessant schreiben kann, alle Achtung, Paddy, das ist nicht selbstverständlich. Es macht Spaß, nicht nur Deine Klasse-Fotos zu betrachten, sondern dabei auch eine Menge über Land und Leute, und nicht zuletzt, auch über Dich Einiges zu lernen. Ich denke, einem guten Fotobuch schadet es nicht, wenn die Texte darin sich nicht nur um Blende und Belichtung drehen.
Bin gespannt auf die nächsten Posts
Herzliche Grüße
Der Friedenauer
Der Mann mit dem Messer hat nur gegrüßt, da wäre ich ganz entspannt. Irgendwo hinfahren, ohne zu wissen, wie man wieder wegkommt, finde ich nichts besonderes. Habe ich auch schon ein dutzend mal gemacht in Ländern wo ich die Sprache selbst nicht kann. Mutig daran ist, dass Du mit zwei Leica Kameras da hin bist. Mannoman! DAS würde ich mich nicht trauen. Ich hätte Schiss dass die weg sind.
Klar kennen die in dem verlassenen Dorf den Wert der Leica Kameras nicht. Aber es ist eine Kamera, und Touristen wurden schon wegen weniger ausgeraubt .…
Ich würde zu Motiven auch immer ein bisschen Text schreiben. Das gibt der Sache einen Rahmen. Und ist doch auch für einen selbst eine schöne Erinnerung - da sonst die Geschichten aus dem Gedächtnis verloren gehen.
Gruß, Ralf
Auch wenn das Stimmungsbild ja schon recht eindeutig ist, hier auch mein Senf dazu:
Ja, unbedingt mit den Texten!
Klar, die Bilder sollten den Hauptraum einnehmen. Und sie sollten auch das sein, was man zuerst und unbefangen “auf sich wirken” lassen können sollte.
Aber wenn man dann (in etwas zurückhaltendem Layout) auch noch ein paar Hintergrundinfos und eben auch Erzähltes serviert bekommt, dann ergeben sich für mich häufig einfach noch mal neue Zusammenhänge, neue Sichtweisen auf etwas, dass man vorher vielleicht ganz anders und distanzierter gesehen hat (was manchmal ja auch ganz gut ist, daher sollte das ja auch der erste Eindruck bleiben).
Es macht auf jeden Spaß, Deine “Anekdoten” zu lesen. Nicht nur, weil Du Interessantes, Spannendes und Lustiges zu berichten hast, sondern auch, weil Du “schreiben kannst”. 😉 Ich meine damit: Du kannst mit Sprache umgehen, so dass Du (zumindest mich) mitnimmst.
Ich freue mich auf das Buch…
Super Bilder.
Ich hatte das Glück vor knapp 14 Monaten während eines Business Trips auch kurz in diese Enklave der fantastischen Eindrücke verschleppt zu werden.
Leider hat es bei mir in Ströhmen geregnet wodurch allerdings trotzdem interessante Bilder entstanden sind.
Das mit den Touristen stimmt allerdings. So konnte ich aber eine nette Gruppe Japaner kennenlernen 😀
Freu mich aufs Buch.