Paddy ist schon durch damit, und ich bin mittendrin: Diese Woche beginnt die Produktionsarbeit an meinem Bildband, und ich stelle gerade fest, dass das bisschen Fotoshooting nicht die größte Herausforderung an so einer Aufgabe ist.
Es ist das Aussuchen der passenden Bilder, das mich fertig macht. Das liegt unter anderem daran, dass das Wort Shooting für mein Buch nicht ganz passend ist. Ich habe die deutsche Rockband Subway to Sally nahezu ein Jahr lang begleitet, weil sie 2017 exakt 25 Jahre unterwegs ist, und was ich dabei gemacht habe, ist Reportagefotografie im Akkord, auf und hinter der Bühne. Man kann es sich vorstellen wie viele Hochzeiten hintereinander, nur eben mit anderen Haupt- und Nebenfiguren und ohne das Porträtshooting.
Ich war für mein Buch genau 25 Mal mit der Band zu Auftritten unterwegs, ich habe zusätzlich Studioarbeit dokumentiert, war bei Proben und Besprechungen dabei (sogar mit einem echten Plattenboss) und habe auch einen Videodreh dokumentiert. Außerdem gab es ein sehr interessantes Treffen mit einer Kostümbildnerin, als die Band den richtigen Look für ein Projekt im nächsten Jahr suchte. Das Buch wird auf etwa 200 Seiten das Konzentrat aus 80.000 Kamera-Auslösungen liefern (ich fotografiere viel im Serienbildmodus). Und falls jemand von euch vor vergleichbaren Aufgaben steht (eine 14-tägige Bildungsreise kann auch Unmengen von Fotos hervorbringen), erzähle ich hier mal, wie ich meine Bilder sichte und sortiere.
Zuerst: Lightroom hat damit nichts zu tun. Ich benutze das Programm zwar gern, aber seine große Schwäche ist seine Langsamkeit, vor allem bei der 100-Prozent-Darstellung von Bildern. Da ich mir nicht leisten kann, bei einer Tagesausbeute von 3000 Fotos jeweils fünf Sekunden pro Bild zu warten (das sind insgesamt mehr als vier Stunden), bis ich die Schärfe kontrollieren kann, nehme ich für diese erste Runde das von Canon mitgelieferte Programm Digital Photo Professional 4. Das ist ein Raw-Converter, über den ich sonst nichts weiß, aber der blitzartig Raw- und auch Jpg-Bilder auf den Schirm bringt. Ich kann die Autofokuspunkte einblenden und exakt an dem aktiven, rot markierten Autofokuspunkt nachsehen, ob die Schärfe passt.
In dieser ersten Runde fallen so ungefähr 30 Prozent der Fotos raus, manchmal richtig gute. Das tut weh, aber ich bin da konsequent und würde unscharfe Bilder nur behalten, wenn sie irgend etwas haben, das sie wirklich besonders macht. Jedenfalls erzeuge ich nun den ersten Unterordner mit dem Namen „scharf“. Jetzt sehe ich alle scharfen Bilder noch einmal an (in Bildschirmgröße) und schaue, ob sie es verdienen, auch noch in den zweiten Unterordner verschoben zu werden, der den Namen „gelungen“ trägt.
Erst dann kommt Lightroom ins Spiel. Nur die gelungenen Bilder, das sind in der Regel etwa 25 Prozent der ursprünglichen Menge, sind es mir wert, importiert zu werden. Nicht, dass ich alle benötigen würde, aber ich brauche auch Material für den Fall, dass ich bei einem Layoutversuch in eine Sackgasse gerate. Dann ist es vielleicht eine gute Idee, mit anderen Motiven frisch anzufangen, und das geht natürlich nur, wenn man diese anderen Motive auch zur Verfügung hat. Ich mache das auch so bei Hochzeiten und anderen Projekten: Der Ausschuss hat im Lightroom-Katalog nichts zu suchen, aber alle Bilder, die auf irgendeine Weise vorzeigbar sind, kommen hinein. Und dann geht das eigentliche Auswählen los.
Nehmen wir also immer noch an, ein Tourneetag hat 3000 Bilder gebracht, dann sind nun 600 bis 800 davon in Lightroom importiert. Müssen die alle bearbeitet werden? Nein. Ich lasse eine Standardbearbeitung schon beim Importieren ablaufen (Objektivkorrektur und jeweils etwas mehr Klarheit, Kontrast und Schärfe), das muss erst einmal reichen. Bearbeitet werden dann wirklich nur die Bilder, die sämtliche nun noch folgenden Auswahlprozesse überstehen.
Diese Auswahlen treffe ich aber nicht, indem ich die Bilder mit Sternen oder Flaggen kennzeichne, sondern ich lege Sammlungen an. Die heißen so wie der Hauptordner der Bilder auch, nur mit dem Zusatz „Auswahl 1“, „Auswahl 2“, „Auswahl 3“. Wichtig ist, die jeweilige Auswahl als Zielsammlung festzulegen, dann kann man mit einem Druck auf “b” das Bild in die Sammlung bringen. (Wer mit Lightroom-Sammlungen nicht so vertraut ist: Man kann damit hemmungslos herumexperimentieren, weil die echten Bilddateien unangetastet in ihren Originalverzeichnissen liegen bleiben). Mit jeder Auswahl werden es weniger Fotos, und mit der dritten Auswahl ist es in der Regel getan, dann habe ich etwa noch 100 Bilder zur Verfügung, die mir richtig gut gefallen. Multiplizieren wir diese Menge allein mit den Konzerttagen (das waren 25), dann wird schon klar, dass die Gestaltung meines Buches trotz strenger Vorauswahl eine echte Herausforderung wird. Schließlich kann ich kaum zehn oder mehr Bilder pro Seite abdrucken, und manche Motive schreien ja auch nach einer Doppelseite für sich allein.
Aber so weh es tut, sich von liebgewonnenen Bildern zu verabschieden, so wichtig ist es am Ende auch. Begonnen hat meine Arbeit mit Subway to Sally bei den Eisheiligen Nächten 2016. Jedes Jahr um Weihnachten herum geht die Band zusammen mit drei anderen Kapellen auf Tour, inzwischen ist dieses mobile Mini-Rockfestival auf insgesamt neun Termine angewachsen. Nach den Eisheiligen Nächten haben wir uns im Probenraum getroffen, und ich habe Bilder gezeigt: Davon hing dann ab, ob ich auch 2017 mit der Kamera dabei sein konnte.
Neun Konzerttage à 100 Top-Fotos – niemandem darf man 900 Bilder zumuten, unmöglich. Darum habe ich jeden Konzerttag noch einmal auf seine „Top 40“ reduziert, um im Musikerjargon zu bleiben. Neun Mal 40 sind 360 – immer noch zu viel. Also habe ich aus diesen Top-40-Sammlungen noch eine „Hot 100“ gebildet, die haben sich die Musiker als Diashow auf meinem Macbook angesehen, hinterher gab’s tatsächlich Applaus, und ich blieb an Bord.
Das Geheimnis, wie man aus 900 Bildern, die man selbst wirklich gut findet, die 100 allerbesten heraussucht, würde ich gern hier lüften, aber ich fürchte, dafür gibt es kein Rezept. Es ist Gefühls- und Geschmackssache, und wahrscheinlich ist es auch von der Tagesform abhängig. Wichtig ist nur, dass man sich traut, harte Schnitte zu machen – und dass man ein Auffangnetz hat, die aussortierten Bilder also nicht wirklich löscht. (Alle, die es gar nicht erst bis zum Lightroom-Import schaffen, verschwinden natürlich von der Festplatte, sonst ersticke ich an Ausschuss.) Eins kann ich sagen: Wenn ihr 100 Bilder zeigen wollt, braucht ihr Abwechslung in den Motiven. In meinem Fall durften es nicht nur Porträts des charismatischen Sängers sein, sondern ich brauchte natürlich auch Totalen, ich brauchte ruhige und rockige Bilder, bunte und schwarzweiße, ab und zu mal ein Hochformat dabei. Oder eine Detailaufnahme. Eine Bildauswahl zeigt die ganze Welt, um die es bei deinem Projekt geht, dann bist du auf dem richtigen Weg.
Vielleicht fragt sich jetzt der eine oder andere, warum ich ganz am Anfang nicht umgekehrt vorgehe, also erst nach gelungenen Bildern suche und die dann auf Schärfe überprüfe – das müsste dann doch insgesamt schneller gehen. Ich habe das probiert. Aber dann stellte ich halt in der zweiten Runde immer wieder fest, dass ein gelungenes Bild doch nicht ganz scharf war, und nun musste ich wieder im aussortierten Originalmaterial nachsehen, ob es noch mehr ähnliche Motive gab, die ich nehmen konnte. Am Ende brauchte ich mit der alternativen Methode dieselbe Zeit, war aber frustrierter wegen der vielen Nacharbeit.
Meine Methode also noch einmal in Kürze: Runde 1 – Schärfe, Runde 2 – gute Bilder, Runde 3 – Lightroom-Import mit automatisierter Standardbearbeitung, Runde 4 – Auswahlsammlungen in Lightroom erzeugen (maximal drei), Runde 5 – Bildbearbeitung der kleinsten Auswahl.
Ganz zum Schluss exportiere ich gewöhnlich die fertigen Bilder und zeige sie meiner Frau. Sie ist Bildredakteurin von Beruf, sichtet also täglich Hunderte bis Tausende von Fotos und interessiert sich im Zweifel nicht persönlich für das, was sie darauf sieht. Sondern sie stellt sich zwei Fragen: Kann ich auf einem einzelnen Bild sofort erkennen, was gemeint ist? Kann ich in einer Serie erkennen, dass die Bilder zum selben Thema gehören? Diesen Blick versuche ich mir auch anzugewöhnen, aber bei den eigenen Fotos, mit denen man sich so intensiv beschäftigt hat, ist das naturgemäß schwierig. Also ist es meine Frau, die in diesem letzten Stadium ihr Fallbeil auf manches Motiv herabsausen lässt, und ich ziehe die entsprechenden Bilder dann zurück (na ja, manchmal auch nicht).
Dieses Mal kommt noch eine Instanz dazu: Ich habe mir für die Gestaltung des Buches professionelle Hilfe gesucht, und die Layouterin wird mit Sicherheit ihre eigene Meinung von der Auswahl der Bilder haben – und vor allem von der Dramaturgie der Reihenfolge, die möglicherweise ja von meiner eigenen Vorstellung abweicht. Ich bin sehr gespannt und werde weiter berichten.
P.S.: Die hier gezeigten Bilder stammen aus der erwähnten Hot-100-Auswahl der Eisheiligen Nächte 2016. Ob sie auch im Buch Platz finden, oder ob ich sie heute auch wieder in die Hot 100 nehmen würde – wer weiß?
Interessanter Artikel! Aber eins habe ich nicht verstanden: Warum nutzt du in Lightroom die Sammlungen und nicht die Sterne?
Danke. Ich finde Sammlungen einfach übersichtlicher, und ich bewahre sie mir am Schluss der Arbeit auch auf – dann integriert in übergeordnete Sammlungen, um den Sammlungsbaum am linken Bildrand klein zu halten. Aber letztlich kann es in Lightroom ja jeder machen, wie er möchte. Ich bin einfach kein Freund von Sternchen und Fähnchen, das ist alles.
Vielen Dank für den interessanten Artikel. Ich finde diese Gangart sehr praktisch.
Sehr interessanter Artikel. Danke dafür. Einige Gedanken zum Thema : ganz klar die Anzahl der Aufnahmen reduzieren. Gerade das unterscheidet ja einen geübten Fotografen vom Schnappschuss Sammler ? Punkt zwei. Schau dir photo mechanic an. Importieren, archivieren, IQ check, öffnen mit und versenden alles in high speed. Das führt jetzt hier zu weit aber “fine art sooc” ist möglich (nicht ganz Kamera unabhängig. Gebe ich zu). LG Peter
Danke. Während die Musiker spielen, muss es aus meiner Sicht der Serienbildmodus sein, sonst erwischt man zu selten den richtigen Moment aus Schärfe und Gesichtsausdruck/Körperhaltung. Aber generell hast du natürlich recht: Man kann auch schon beim Fotografieren sortieren.
Danke für deinen Artikel.
Eine gute Idee DPP bei Canon zur Vorsortierung zu nutzen. LR ist in dem Punkt mit der Anzeige wirklich lahm.
Thx Martina
Sehr gute Vorgehensweise! Kann man sich wirklich was von abgucken. Herzlichen Dank!
Toller Artikel!
Gerade der Hinweis erstmal nach Schärfe zu sortieren ist wichtig. Ertappe mich selbst oft dabei ein Bild zu bearbeiten und anschließend festzustellen, dass es nicht scharf ist. Muss wohl ein Problem “zwischen den Ohren” sein. Wenn ich das Bild grundsätzlich sehr schick finde übersehe ich das erstmal hin und wieder.
Deshalb: Deine Reihenfolge einhalten! 😉
Hallo Stefan, #
tolle, sehr stimmungsvolle Pics.
Sortierung nach Schärfe ist ein spannender Aspekt - wir sortieren auch nicht über LR, sondern über Photomechanic, einfach weil es Faktor 5 schneller geht.
Grüße Chris
Hallo Stefan,
auch mir gefällt der Artikel sehr gut, da ich auch oft große Bildermengen verarbeite. Was mir immer wieder ein Rätsel ist, dass viele Probleme mit der 1:1 Vorschau in Lightroom haben. Ich importiere die Fotos und lasse gleich die 1:1 Vorschau erstellen, dann sehe ich mir die Bilder bei 100 % an und sortiere die unscharfen aus. Das funktioniert sogar auf einem 2010er iMac verzögerungsfrei.
Viele Grüße
Norman
Ja, ich habe auch schon davon gehört, dass manche mit LR überhaupt keine Tempo-Probleme haben. Aber glaube mir, ich habe alles versucht, von kleinsten bis hin zu größten Vorschauen, mit großem und mit kleinem Cache, ganz egal: Die Software ist einfach lahm auf meinem Rechner, und der ist zwar nicht der Allerheißeste von allen (2013er MacBook Pro 13″ Retina mit 8 GB RAM und SSD), aber mit vielen anderen Programmen (u.a. Photoshop) kommt er gut klar. Schönen Abend.
Servus Stefan,
Bin auch im Bereich Konzertfotografie unterwegs, im Endeffekt habe ich den gleichen Workflow. Erst nach Schärfe und (komplettes) Motiv im Viewer des Kameraherstellers sortieren. Danach im LR die endgültige Sortierung, was beim Bearbeiten durchfällt fliegt raus. Gnadenloses Ausmisten hilft vor einer Überfülle an Bildern die dann doch keiner zu Gesicht bekommt.
Danke für diesen Beitrag, zeigt mir das ich nicht ganz auf dem Holzweg bin 😉
VG
Björn
Hallo Stefan,
wie viel Bilder muss ich machen, wie viel Ausschuss ist normal? Es hält sich die Legende, dass ein guter Fotograf sich dadurch auszeichnet, dass fast jedes Bild ein Treffer ist. So ein Quatsch! Bei Landschaftsfotografie o.k., aber bei virtuosen Musikern ist der Fotograf beim antizipieren von Gestik und Mimik am Ende mit seinem Latein. Danke für einen offenen Einblick in Deine Bildermengen. Ist auch ein Tipp an alle, die solche Aufgaben mit ein paar wenigen Aufnahmen hinbekommen wollen. Solange ihr durch eure Auslösegeräusche nicht stört: macht ein paar mehr und schmeißt anschließend gnadenlos raus!
Hallo Stefan,
vielen Dank für den Artikel. Ich finde es immer interessant, welche Methoden oder Kriterien andere anwenden, um der eigenen Bilderflut Herr zu werden. Die Idee, mit Canon DPP vorzusortieren ist auf jeden Fall einen Versuch wert. Bin grad aus dem Urlaub zurück und habe gefühlt, insgesamt ein paar Tage auf Lightroom gewartet, um alle Bilder richtig angezeigt zu bekommen…
Grüße
Frank
Hallo Stefan, ich freue mich sehr, wieder etwas von dir zu hören, bzw. zu lesen. Seit dem Ende des Projekts „366“ ist es etwas ruhig bei mir geworden, war wenig in der SC-Community unterwegs und ich habe wenig Zeit mit der Kamera verbracht, was auch begründet gewesen ist. Umsieht freut es mich zulegen, dass Du bei Paddy „Co-Blogger“ bist.
Der Bericht ist sehr interessant und ich freue mich auf mehr davon.
LG
Norbert
Danke, Norbert. Ich hoffe, Du fotografierst bald wieder mehr.
Danke für den interessanten und anregenden Artikel! Spaßig finde ich allerdings Kommentare, nach denen sich der Amateur (wohl auch “Schnappschuss-Sammler” genannt) vom Profi dadurch unterscheidet, dass der Amateur viel zu viele Bilder macht, der Profi hingegen nicht. Nach dieser Definition wäre also Peter Lindbergh, der nach eigenem Bekunden bei einem Shooting bis zu 10.000 Bilder (sic!) pro Tag macht, ein Schnappschuss-Sammler…
Auch von mir erstmal vielen Dank für den Blick hinter Deine Kulissen, ein Detail viel mir auf: Nach all der Arbeit, präsentierst Du Deine Arbeit mehreren Leuten auf einem 13″ Laptop? Ich stelle mir gerade vor, wie die um die Minikiste rumsitzen, sorry, aber das geht m.E. gar nicht, nach all der Arbeit, die da reingeflosssen ist.
Grüße aus Ludwigsburg
Jochen Kubik
Danke, Jochen, auch für Deine Anteilnahme wg. meines kleinen Monitors. Aber das war ja nur eine Arbeitspräsentation, um zu sehen, ob meine Fotos überhaupt für eine weitere Zusammenarbeit taugen. Und das kann man auch auf 13 Zoll beurteilen. Der Lohn der Mühe ist dann ja sowieso das Buch. Schönes Wochenende.