Dies ist ein Plädoyer. Eine leidenschaftliche Rede dafür, Fotos von Automobilen ernst zu nehmen oder sie besser zu unterlassen. Warum? Weil Autos Persönlichkeit haben, und weil man sie deshalb nicht einfach abfotografiert, sondern möglichst ein Porträt von ihnen anfertigt.
In meiner vierten und letzten Folge zum Thema Automobilfotografie wende ich mich nun dem stehenden Pkw zu. Nun geht es darum, das Auto zu inszenieren wie einen Menschen und möglichst auch seine Persönlichkeit herauszuarbeiten. Weil ein Auto zwar ein Gesicht hat, aber seine Mimik nicht verändern kann, bietet es dem Fotografen Vorteil und Nachteil zugleich.
Der Vorteil ist, dass der Gesichtsausdruck immer passt, weil er immer gleich ist. Experimentieren lässt sich mit der Perspektive, mit der Brennweite oder dem Bildschnitt, aber grundsätzlich verändern (oder verderben) kann man den Ausdruck des Autos eigentlich nicht. Das ist auch gleichzeitig der Nachteil. Man kann das Auto nicht auffordern, besonders trübselig oder extra fröhlich auszusehen, um z.B. einen Kontrast zum Hintergrund zu erzielen oder im Gegenteil Motiv und Hintergrund exakt übereinstimmen zu lassen.
Das A&O beim Autofotografieren ist daher der Standort, also die Szene, in der es sich befindet. Man kann ein Auto natürlich auch in ein Studio fahren und es dann mit neutralem Hintergrund und vielen, vielen Lichtern abbilden – darum soll es hier aber nicht gehen, weil dafür mir und wahrscheinlich auch den meisten Lesern die finanziellen Mittel fehlen. Mir geht es darum, was man draußen in der normalen Welt mit einem Autofoto erreichen kann, und worauf man dabei achten sollte.
1.) Das Auto muss frei stehen können, es sollen also nach Möglichkeit keine anderen Autos im Bild sein. Ich weiß, wenn man über eine Oldtimershow geht und die Autos da dicht an dicht platziert sind, ist es praktisch gar nicht möglich, irgendetwas freizustellen. Aber man kann ja den Besitzer bitten, seinen Wagen kurz aus der Reihe heraus zu fahren oder zu schieben (versprecht ihm ein Foto). Oder man kann sich mit ihm verabreden, um später eine schöne Fotosession zu machen. Wenn beides nicht geht, nimmt man eine kurze Brennweite, die möglichst wenig Verzerrungen produziert (nicht einfach zu finden, ich weiß) und hockt sich damit direkt vor das Auto, das das Motiv bilden soll. Es wird dann so dominant im Bild zu sehen sein, dass die anderen Autos plötzlich gar nicht mehr stören – selbst wenn man mit sehr kleinen Brennweiten keinen so starken Unschärfe-Effekt hinbekommt.
2.) Der Hintergrund muss sowohl von den Farben als auch von der Struktur her zum Auto passen, er bildet also im Idealfall die perfekte Umgebung. Beispiel: Man kann eine Mercedes S-Klasse am Yachthafen (perfekte Umgebung) fotografieren oder im Gegenteil vor einer mit Graffiti besprühten Mauer (Kontrast) – aber einfach so am Bürgersteig vor einem Reihenhaus sieht das Auto wahrscheinlich eher langweilig aus. Vorsicht vor zu starken Kontrasten: Den gelben Audi R8 im Foto ganz oben auf dieser Seite hätte ich nicht so fotografiert, wenn nicht die rot-weißen Leitplanken einen Hinweis auf die Rennstrecke gegeben hätten, auf der wir uns befanden. Ohne diesen Hinweis sähe es nämlich so aus, als stünde der Sportwagen im Naturschutzgebiet, und das passt nicht.
3.) Alles, was stören könnte, muss vorher eliminiert oder hinterher weggestempelt werden. Da Autos in der Regel auf der Straße fotografiert werden, wachsen ihnen oft Verkehrszeichen, Ampeln oder Laternenmasten aus dem Dach. Weg damit, am besten schon bei der Wahl des Bildaufbaus, aber spätestens in der Bearbeitung. Und nur keine Hemmungen: Solange man nicht in Paris den Eiffelturm wegstempelt, darf man gern die Realität an das Foto anpassen.
4.) Grundsätzlich ist Augenhöhe wichtig. Ich sehe so oft Leute, die sich beim Fotografieren eines Autos kein bisschen bewegen. Da ein Auto aber immer kleiner ist als ein Mensch, kommt nun derselbe Effekt zum Tragen, als wenn Erwachsene Kinder oder Haustiere fotografieren, ohne in die Hocke zu gehen: Der Blick von oben ist zwar natürlich (weil wir ja auch nicht im Entengang durchs Leben watscheln), aber er erzeugt beim Betrachter des Bildes keine emotionale Nähe, im Gegenteil: Er wirkt im besten Fall nachlässig, oft aber auch abweisend und überheblich. Und für die Schlaumeier, die SUVs über 1,80 Meter kennen: Ja, die kenne ich auch. Aber sogar deren Augen (Scheinwerfer) liegen deutlich unterhalb meiner Augenhöhe, also muss ich mich anpassen. Vorsicht nur, dass man nicht zu tief kommt, dann verschwindet die Motorhaube, und das Auto ist nur noch Kühlergrill.
5.) Kontext schaffen. Die meisten Porträts sind eher aus der Nähe aufgenommen, das ist bei Autos nicht anders als bei Menschen. Aber träumen wir Fotografen nicht alle davon, dass unsere Fotos groß bis sehr groß ausgedruckt oder an die Wand projiziert werden? Dann können wir auch den Menschen oder das Auto in einen größeren Kontext einbetten und erreichen damit, dass wir Porträt und Umgebung zu einem Gesamtwerk verbinden. Besser geht es doch nicht.
6.) Die extreme Nahaufnahme ist möglich und erlaubt, wenn es das Gesicht hergibt. Auch das ist nicht anders als beim Menschen. Das Close-up eines VW Golf wäre wahrscheinlich eine etwas übertriebene Dramatisierung, aber es gibt ja genug Autos mit Ecken und Kanten, mit Aggressivität im Blick oder einfach mit Charakter. Also nah herangehen, das ist dann wie in Punkt 1 auch eine Maßnahme bei Messen, Oldtimershows etc. Nur dass man dieses Mal die kurze gegen eine längere Brennweite tauscht, um Verzerrungen ganz zu vermeiden.
7.) Das Auto und sein Mensch. Gewissermaßen die Königsdisziplin ist es, Auto und Besitzer/Fahrer gemeinsam zu porträtieren. Für mich ist dabei entscheidend, dass der Mensch wichtiger ist als das Auto. Bildaufbau, Ausleuchtung, Schärfesetzung – bei mir bezieht sich da alles auf den Menschen; das Auto hat natürlich auch seine Bedeutung, aber es setzt den Menschen in Szene, nicht umgekehrt.
Damit wäre die kleine Serie über Autofotografie beendet – wer die ersten drei Teile noch nicht kennt, findet sie hier, hier und hier.
Und dann noch die beiden wichtigsten Tipps von allen. Erstens: Der Umgang mit Autos ist gefährlich, darum benötigt der Fotograf einen 1000-prozentig sicheren Standort und muss auch da immer mal die Umgebung checken. Zweitens: Wenn es nicht gerade um einen Geländewagen in Aktion geht, muss ein Auto, das man porträtieren will, sauber sein, wirklich sauber. Also Waschanlage unmittelbar vor dem Shooting, letzte Tropfen wegledern (das gibt sonst Kalkflecken, die Nahaufnahmen zerstören) und am Ort des Shootings einen feuchten Lappen dabei haben. Viel Spaß!
hilfreiche Tipps und toller Beitrag, danke dafür
WOW!!!! Klasse geschrieben und beschrieben und sehr hilfreich. Danke!!!
Klasse geschrieben, sehr informativ, weiter so! Vielen Dank!
Ein äußerst interessant geschriebener Bericht mit beeindruckenden Beispielbildern. Nur beim letzten Satz blutet mir als Autopflegefanatiker das Herz. Bitte das Auto nicht abledern sondern ein Microfasertrockentuch verwenden und den feuchten Lappen auch durch ein langfloriges Microfasertuch ersetzen und einem Detailer verwenden.
Was ist nerviger? Flecken auf nem Auto wegpolieren oder das eingreifen der Visa bei nem Modelshooting?
Ich bin gerade irgendwie froh, dass ich beides nicht fotografiere.
Trotzdem ein interessanter einblick in die Autofotografie. Wird trotzdem nicht meins, weil mich Autos halt null interessieren.
Eine schöne und informative Serie. Danke dafür.
Vielen Dank für den informativen Beitrag und die schönen Beispielfotos. Viele Hinweise lassen sich auch auf andere Objekte übertragen, das ist klasse.
Alle drei Teile -> super ??
Werde ich noch das ein oder andere mal lesen. „Wie war das noch mal ?“ 🙂
Super informativ, danke für die Mühe!
Hi
Zum Abschluss der Serie noch mal alles perfekt auf den Punkt gebracht.
Dankeschön für Deine Ausführung
Ich habe die kleine Serie über Autofotografie regelrecht verschlungen.
Danke an Stefan Anker, weiter so.