Fahrende Autos immer nur von der Seite zu fotografieren wird irgendwann langweilig. Also kann man sie auch von vorn oder von hinten ins Visier nehmen. Nur: Wo bleibt dann die Bewegung?
Kommt ein Auto auf die Kamera zu oder entfernt sich von ihr, gibt es erst einmal keine Chance, irgendeine Mitziehbewegung zu machen. Eine längere Belichtungszeit könnte man wählen, damit das Auto Bewegungsunschärfe zeigt, aber das wäre ja der genau gegenteilige Effekt zum Mitzieher: Auto unscharf, Straße scharf. Sieht seltsam aus, zumindest wenn das Auto das Motiv sein soll – das muss dann schon scharf sein.
Zwei andere Möglichkeiten gibt es. Zum einen kann man mit einer guten Inszenierung versuchen, wenigstens den Eindruck von Bewegung zu erwecken, das gilt vor allem beim Rennen. Zum zweiten kann man tatsächlich Bewegung in die Sache bringen, muss dafür aber gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen.
Fangen wir vielleicht mal mit der legalen Inszenierung an. Ich halte es so, dass ich mir speziell beim Autorennen eine kurvige Stelle suche und abwarte, bis zwei oder drei Autos ins Bild kommen, die einander verfolgen, so wie in dem Titelfoto dieses Beitrags. Auf diese Weise würden wahrscheinlich nicht mehrere Fahrer ihre Wagen auf der Strecke parken, also wird jeder annehmen, dass die Autos fahren.
Außerdem achte ich darauf, dass man die Felgen oder die Seitenwände der Reifen möglichst nicht sieht. Warum? Weil sie bei kurzen Belichtungszeiten keine Bewegungsunschärfe zeigen. Kommen die Autos frontal, ist es leicht, die Felgen zu verbergen (siehe ganz oben), aber beim Einlenken in die Kurve, was dynamischer aussieht, macht das mehr Schwierigkeiten. Im Idealfall nähert man sich mit der Belichtungszeit so an, dass das Auto scharf bleibt, die Felgen aber leichte Wischeffekte zeigen. Nach meiner Erfahrung muss man da auf 1/400 bis 1/200 Sekunde heruntergehen, hat dann aber beim Auto selbst viel Ausschuss.
Eine kleine Rechnung soll das Problem zeigen: Fährt ein Auto 100 km/h schnell, dann legt es 100.000 Meter in 3600 Sekunden zurück. Pro Sekunde sind es demnach 100.000/3600 = 27,78 Meter. In einer Hundertstelsekunde sind es immer noch 27,78 Zentimeter, bei 1/200 Sekunde 13,88 Zentimeter, in 1/400 Sekunde 6,94 Zentimeter. Die Tiefenschärfe ist hier nicht das Problem. Wenn ich 50 Meter vom Geschehen weg stehe und mit 400 Millimeter Brennweite draufhalte, hätte ich selbst bei Blende 2.8 noch gut 2,50 Meter Tiefenschärfe. Der Schärfebereich ist also groß genug, das Problem ist einfach die Bewegung. Knapp sieben Zentimeter sind auf 50 Meter gerechnet nicht viel, aber diese Vorwärtsbewegung kann sich trotzdem bemerkbar machen.
Dennoch ist es nicht unmöglich, ein herannahendes Rennauto mit einer etwas langsameren Belichtungszeit (also um 1/200 Sekunde) scharf abzubilden. Und wenn das gelingt, hat man große Chancen, dennoch Bewegungsunschärfe an den Rädern zu sehen. Zwar bewegen sich jede einzelne Speiche einer Felge und die Aufschrift an der Reifenflanke (also die Teile, deren Verwischen uns Bewegung andeuten) genauso schnell wie das Auto, aber in einer anderen Richtung: Während das Auto vorwärts fährt, bewegen sich die erkennbaren Punkte des Rades zusätzlich auf und ab, weil sie an ihren Kreisradius gebunden sind.
Vielleicht noch ein Wort zur Technik: Natürlich muss man für Autos, die frontal auf die Kamera zukommen oder von ihr wegfahren, den kontinuierlich nachführenden Autofokus einsetzen. Ich wähle meistens auch nur einen einzelnen Fokuspunkt aus und versuche, den an der wichtigsten Stelle des Autos zu halten, nämlich am Kühlergrill. Je schneller die Kamera hintereinander auslösen kann, umso besser. Nicht unbedingt, weil ich dann mehr Fotos durchsuchen kann, sondern weil das den Stress für den Autofokusmotor im Objektiv mindert und so die Trefferquote erhöht. Je weniger Fotos die Kamera pro Sekunde macht, desto größere Strecken legt das Auto zwischen zwei Aufnahmen zurück, und umso weiter muss der AF-Motor die Linsen verschieben – gerade bei großen Teleobjektiven mit ihren dicken Gläsern ist das Schwerstarbeit. Meine persönliche Erfahrung spricht zumindest dafür, dass schnellere Kameras auch prozentual eine bessere Ausbeute haben. Und je höher die Ausbeute, desto schneller ist man fertig.
Das gilt auch für die zweite Lösung, frontale Autofotos mit Bewegung einzufangen: das Car-to-Car-Shooting. Ich will diese Technik hier ausdrücklich nicht empfehlen, sondern nur erklären. Car-to-Car-Fotos zu machen ist nämlich nicht nur etwas ordnungswidrig, sondern kann auch gefährlich sein, auf jeden Fall ist es enorm aufwendig – man benötigt nämlich zwei Autos und drei Personen dafür. Da aber Fotografen, die für Automagazine oder Autohersteller arbeiten, regelmäßig Car-to-Car-Fotos machen (und ich es auch schon getan habe), will ich hier wenigstens schildern, wie es geht.
Das Prinzip ist dasselbe wie beim Mitzieher: Kamera und Auto bewegen sich während des Fotografierens gleich schnell in dieselbe Richtung, die Belichtungszeit ist eher lang. So bleibt das Auto scharf, der Rest verwischt. Es sitzt also der Fotograf mit Fahrer eins in Auto eins, und Fahrer zwei steuert das Auto, das fotografiert werden soll.
Wie beim Mitzieher kommt es auf Gleichmäßigkeit des Tempos an, am besten ist es, wenn beide Autos exakt gleich schnell fahren. Es genügt eine mäßige Geschwindigkeit, mehr als 60 bis 80 km/h müssen es auch auf der Landstraße nicht sein. Dann fange ich wieder mit dem Kehrwert der Geschwindigkeit an (also 1/60 bzw. 1/80 Sekunde), um etwas Sicherheit zu bekommen – stelle dann aber schnell fest, dass bei den gewählten Belichtungszeiten die Straße vor, hinter oder neben dem Auto nicht genug verwischt. Also arbeite ich mich weiter vor, über 1/50 bis auf 1/30 Sekunde.
Dabei entsteht viel Ausschuss, auch wenn ich wieder die schnellstmöglichen Serien schieße und mich auf den kontinuierlich nachführenden Autofokus verlasse. Nur fährt so ein Auto halt auch mal über Unebenheiten, und dann wackeln mit ihm Fotograf und Kamera. Aber am Ende bekommt man schon auch knackscharfe Schüsse hin, und die Bewegungsstreifen auf der Straße sind gut zu sehen.
Und warum ist das ordnungswidrig? Na ja, als Fotograf sitzt man im Kofferraum (wenn Auto eins ein Kombi, SUV oder Van ist), und die Heckklappe ist offen. Selbst wenn man ein Bergsteigergeschirr trägt, das fest mit dem Auto verbunden ist (was ich dringendst empfehle), oder wenn man ein Auto mit separat zu öffnender Heckscheibe erwischt (z.B. einen Kombi von BMW), ist es doch nicht erlaubt, im Kofferraum mitzufahren. Und wer den Kofferraum vermeidet, kann leider auch nur fotografieren, wenn er den Sicherheitsgurt ablegt, denn er muss sich mit der Kamera aus dem offenen Seitenfenster lehnen.
Neben einem Bußgeld für diese Ordnungswidrigkeit droht beim Car-to-Car-Shooting durchaus eine reale Gefahr. Denn sofern der Fotograf nicht im Kofferraum sitzt, gelingt das Foto am ehesten, wenn Auto eins und zwei auf unterschiedlichen Fahrspuren unterwegs sind. Da dieses Verhalten grundsätzlich ein Unfallrisiko birgt, sind zwei Dinge extrem wichtig: Die Straße sollte sehr wenig befahren sein. Und die beiden Fahrer müssen unbedingt darauf geeicht sein, nur, nur, nur auf Straße und Verkehr zu achten und nicht auf die Bedürfnisse des Fotografen. Der kann nicht sehen, was von vorne kommt, und seine Handzeichen gelten dann eben irgendwann nicht mehr, damit muss er leben können. Denn es gilt eine absolute Null-Risiko-Politik, und wenn man diesbezüglich kein Vertrauen zu den beiden Fahrern hat, lässt man es besser ganz – oder findet eine abgesperrte Strecke.
Meine Autofotos mache ich übrigens fast immer mit zwei verschiedenen Allzweckwaffen-Objektiven: Die Car-to-Car-Bilder entstehen mit dem Canon 24-105 IS f4, dem Standard-Kitobjektiv für Canon-Vollformatkameras, und die Mitzieher mache ich in der Regel mit dem Canon 70-200 IS f4. Gerade für Autorennen wollte ich irgendwann aber doch mal mehr Brennweite haben und habe dafür das Canon 100-400 IS f4.5-5.6 sowie das Sigma 150-600 5-6.3 Sports ins Auge gefasst. Von den beiden großen Zooms wollte ich aber nur eins wirklich besitzen, und in der nächsten Folge erzähle ich ein bisschen über meine Kaufentscheidung.
Teil 1 verpasst, in dem es um Mitzieher-Fotos ging? Hier entlang.
Sehr schöner Bericht. Viele Dinge die ich schon immer angewendet habe, aber nie drüber nachgedacht habe wie es genau funtkioniert. Danke das du trotz der Gefahr (und auch weils auf öffentlichen Strassen verboten ist) deine Erfahrungen und Tipps zum Car-to-Car teilst. Ich plane schon länger ein Car-to-(car) shooting mit einem Fahrradfahrer. Ich wollte aber ein shooting machen, dass aus dem Winkel des Verfolgers dargestellt wird, das könnte ich dann evtl. sogar angeschnallt vom Beifahrersitz machen, wenn der Seitenspiegel nicht im Weg ist.
Sehr interessant,vielen Dank.
Ein sehr interessanter Beitrag, klasse…
Fehlt da nicht noch eine Methode? Es gibt auch Rin-Shots, bei denen am Auto ein Gestänge befestigt wird. So kann man, zumindest mit ein wenig Photoshop perfekte Mitzieher fotografieren und das bei Schrittgeschwindigkeit. Gut zu sehen bei den Behind-the-scenes-Videos von Dave Hill: https://vimeo.com/137546055
Stimmt, Rig-Shots sind auch eine Möglichkeit. Aber man muss ja nur die ersten paar Sekunden des Videos ansehen, um zu erkennen, dass dafür massive Investitionen nötig sind, daher habe ich es nicht erwähnt. Und ich habe selbst damit auch keine Praxis-Erfahrung, das machen eher die ganz großen Jungs aus der Werbung. Außerdem: Richtig, man muss hinterher noch das Rig wegretuschieren. Bei allen Methoden, die ich vorstelle, reicht es, das Fotografieren zu üben. Schönen Abend 🙂
Vielen Dank für den Bericht. Ich bin öfters in Hockenheim am Ring und experimentiere öfter, ich werde mir jetzt mal deine Tips zu herzen nehmen und einfach mal versuchen ob ich es auch so hinbekomme. lg sabine
Danke, Sabine. Da bin ich gespannt auf Deine Bilder – wenn Du eine konstruktive Kritik brauchst, kannst Du mir auch gern ein paar davon mailen: mail@stefananker.com. Schönen Tag 🙂
Hallo Stefan,
ich bin F1-Fan (seit ‘73) und Hobbyfotograf.
Du schreibst einen tollen Bericht, danke.
Eine Größe fehlt noch: Wo und wie bekomme ich eine Akkreditierung, um so nah an die Rennstrecke zu kommen wie Du.
Früher habe ich mich oft “ohne” bis zu den Pro‘s gemogelt, das geht heute schon lange nicht mehr
Weiterhin gute Bilder,
Christof
Danke, Christof. Ohne Presse-Akkreditierung geht es leider nicht, und da ich ja auch als Journalist arbeite, klappt es für mich meistens. Außer bei den 24 Stunden von Le Mans – da beißt man sich die Zähne aus, wenn nicht Vater und Großvater da auch schon akkreditiert waren. Im Ernst: Sie vergeben die Fotoleibchen für nicht etablierte Fotografen nur stundenweise, aber ohne Redaktionsauftrag geht auch das nicht. Es gibt aber Rennstrecken (z.B. Oschersleben), wo man auch von Zuschauerpositionen aus mit 200 bis 400 mm Brennweite einigermaßen ordentliche Bilder bekommen kann. Und bei noch kleineren Rennen lohnt sich evtl. auch mal eine freundliche Nachfrage beim Veranstalter. Formel 1 ist natürlich ein anderer Spruch, das ist wahrscheinlich wie Le Mans – aber da zieht es mich persönlich nicht hin, insofern habe ich da auch kein Problem. Schönen Abend 🙂