Wie fotografiert man eigentlich ein Auto? Ich behaupte: Mit Mühe und Respekt oder gar nicht. Und weil das alles so anstrengend und auch ein bisschen anspruchsvoll sein kann, will ich hier zum ersten Mal ein Thema in mehrere Teile teilen, wahrscheinlich drei oder vier, da bin ich noch nicht ganz sicher.
Teil 1: Die Bewegung der Autos darstellen
Das ist nicht die leichteste Übung, und leider gibt es viele Menschen, die sich viel zu schnell zufrieden geben, wenn sie ein Auto fotografieren. Ich habe es erst unlängst wieder erlebt: Da stand ich beim 24-Stunden-Rennen von Daytona an der Piste, um des Nachts rasende Rennwagen vor dem leuchtenden Riesenrad zu erwischen. Das Riesenrad wird jedes Jahr an der Strecke aufgebaut, und es ist gewissermaßen ein Pflichtschuss, einen aktuellen Rennwagen damit zusammenzubringen.
Und was sehe ich da? Gleich zwei Kollegen, beide ausgestattet mit Fotoweste wie ich und damit immerhin als Berufsfotografen akkreditiert, haben einen Aufsteckblitz auf der Kamera und benutzen ihn fleißig. Meine Güte, wozu ist ein Blitz denn da? Um Bewegung einzufrieren. Mal davon abgesehen, dass der Blitz die Rennfahrer ziemlich stören muss, tackert er das Auto quasi an der Strecke fest, sehr gut zu sehen an den Felgen: Jede einzelne Speiche kann man knackscharf erkennen und weiß genau, dass das Auto nicht fährt – es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben.
Noch schlimmer, wenn der blitzende Fotograf die Kamera mit dem Auto mitschwenkt, um den Hintergrund verwischen zu lassen. Egal an welcher Stelle man für das Riesenradfoto steht: Es ist immer viel zu weit weg, um vom Blitz getroffen zu werden, also zeigen sich im Hintergrund des geblitzten Bildes auf jeden Fall die typischen Wischeffekte, die eigentlich die Bewegung des Motivs verdeutlichen sollen. So weit, so gut. Weil aber der Blitz für eine Tausendstelsekunde oder kürzer aufflammt und das eigentliche Motiv aus kurzer Distanz trifft (je nach Standort ca. zehn bis 20 Meter), friert er Rennwagen und Räder komplett ein, und nun sieht man das Paradox des stehenden Autos mit Bewegungsstreifen. Das ist unter keinen Umständen ein gutes Foto.
Fahrende Autos von der Seite muss man zwingend mit der Mitzieh-Technik fotografieren, aber bitte ohne Blitz. Nachts ist das schwieriger als tagsüber (auch für die Kamera, sofern man den Autofokus einsetzt), also fängt man am besten bei Tag damit an, Mitzieher zu üben. Es lohnt sich übrigens auch dann, wenn man Autos eigentlich nicht mag, denn genauso fotografiert man trabende und galoppierende Pferde, rennende Hunde und Kinder, letztlich alles, was sich parallel zur Kamera bewegt (Ausnahmen gibt es, aber die kommen in einer späteren Folge). Autos haben den Vorteil, dass sie schön groß und damit leichter zu treffen sind. Außerdem sind sie schnell, und man kann kürzere Belichtungszeiten nehmen.
Wenn ich ein Auto geplant fotografiere, also einen Fahrer dazu habe, mit dem ich kommunizieren kann, dann sind drei Dinge wichtig: Straße, Standort, Geschwindigkeit. Die Straße sollte (zumindest für den Anfang) gerade sein, gerne auch möglichst wenig befahren. Man muss zudem gefahrlos irgendwo umdrehen können, denn mit einer einzigen Vorbeifahrt ist es für einen gelungenen Mitzieher nicht getan. Mein eigener Standort sollte ein gutes Stück weg von der Straße liegen (50 bis 100 Meter sind ein Anfang), denn dann kann ich die Kamera gleichmäßiger bewegen als bei kurzer Entfernung, und Gleichmäßigkeit ist das A und O. Beim Tempo schlage ich entweder 50 km/h vor (in der Stadt) oder 80 km/h, wenn wir auf der Landstraße sind. Gerne mit Tempomat, falls möglich, wegen der Gleichmäßigkeit. Jedenfalls behindert mein Fahrer mit diesen Geschwindigkeiten den Verkehr nicht, und ich kann angenehme Belichtungszeiten wählen, nämlich 1/50 Sekunde für die 50 km/h und 1/80 Sekunde für Tempo 80.
Der Kehrwert der Autogeschwindigkeit ist ein guter Start fürs Mitziehen, und sobald die ersten Schüsse damit gelingen, kann man sich weiter vorarbeiten zu langsameren Zeiten: 1/30 Sekunde in der Stadt oder 1/50 Sekunde auf der Landstraße lassen den Hintergrund noch mehr verwischen, damit reagiert die Kamera allerdings auch empfindlicher auf vertikale Bewegungen des Autos, wie sie durch leichte Unebenheiten der Straße jederzeit entstehen können. Das sind allerdings Feinheiten. Wichtig ist es, zunächst mal die Kamera exakt in der Geschwindigkeit des Autos in Fahrtrichtung zu schwenken, das ist schwierig genug. Man macht es sich übrigens leichter, je weiter man vom Auto entfernt ist: Dann muss die Kamera langsamer geschwenkt werden, was die Trefferquote erhöht. Dafür sind eventuell aber noch längere Verschlusszeiten nötig, weil der Hintergrund nicht so gut verwischt, wenn die Kamera nur langsam bewegt wird. Wie üblich in der Technik, gibt es keinen Vorteil ohne Nachteil.
Es gibt einige Naturtalente in der Mitzieher-Disziplin, für die meisten Fotografen folgt aber erst einmal eine entbehrungsreiche Zeit voller Ausschuss. Dabei sollte man sich nicht selbst betrügen, sondern ein einziges Erfolgskriterium streng beachten: Schärfe. Nicht nur ausreichende Schärfe, die man bei wertvollen und unwiederbringlichen Reportage- oder Streetsituationen noch akzeptieren kann, sondern wirklich kompromisslose Knackschärfe. Je größer der Schärfeunterschied zwischen Auto und verwischtem Hintergrund ist, umso beeindruckender und auch lebendiger wirkt das Foto.
Anfangs hat man in dieser Beziehung Misserfolgsraten von weit über 90 Prozent. Aber es wird besser, wenn man übt, und ein gelungener Mitzieher, der sich aus der Masse von misslungenen Schüssen erhebt, wirkt auf mich wie ein schönes Porträt – beides gibt mir ein kleines Glücksgefühl.
Super-ideal ist es, wenn das Auto wirklich von vorn bis hinten scharf wird, was schon deshalb anspruchsvoll ist, weil das Auto geradeaus fährt und die geschwenkte Kamera eine Kreisbewegung beschreibt. Nur an einem Punkt der Aufnahmeserie kann der Kamerasensor exakt parallel zum Auto sein, und bei allen anderen Winkeln muss man hoffen, dass der Entfernungsunterschied zwischen Front und Heck sich nicht schädlich auswirkt. Wegen der relativ langen Belichtungszeiten wählt die Kamera allerdings auch kleine Blenden (zumindest tagsüber), so dass viel Tiefenschärfe im Bild ist. Nachteile beim Freistellen des Motivs muss man dadurch nicht erwarten, denn der Hintergrund wird ja durch die Bewegung der Kamera verwischt.
Wenn nicht alles von vorne bis hinten scharf wird, kann das Foto trotzdem gelungen sein – es kommt darauf an, welcher Teil die größte Schärfe zeigt. Fährt das Auto so ins Bild, dass es eine Halbprofilaufnahme ist, dann wäre es sinnvoll, dass Kühlergrill und Scheinwerfer maximale Schärfe zeigen, und dass sich die Schärfe mindestens bis zur Windschutzscheibe zieht.
Theoretisch macht man den idealen Mitzieher übrigens in einer Kurve, allerdings gilt das nur dann, wenn der Kurvenradius dem der Kreisbewegung der Kamera entspricht. Versucht gar nicht erst, diese ideale Kurve zu finden, es gibt sie wahrscheinlich gar nicht. Kurven also vergrößern die Probleme eher, können aber auch das Ergebnis interessanter aussehen lassen. Wegen des hohen Frustfaktors sind Mitzieher in Kurven etwas für Fortgeschrittene. Wer sich an Kurven heran traut, sollte innen stehen, denn wer außen steht, arbeitet mit der Kreisbewegung der Kamera gegen die Kreisbewegung des Autos – eine sehr punktuelle Schärfe kann die Folge sein.
Es gibt Fotografen, die ihre Mitzieher mit manuellem Fokus machen. Dazu stellen sie zunächst auf einen Punkt am Straßenrand scharf, schalten dann den Autofokus ab und vertrauen sich der großen Tiefenschärfe an. Wichtig ist, dass man für jede Fahrtrichtung neu fokussiert, denn der Fahrer muss ja immer rechts fahren, also ist das Auto in jeder Richtung unterschiedlich weit weg von der Kamera. Ich selbst mache Mitzieher mit Autofokus (bei Rennen sowieso, weil man da nie ganz genau weiß, welche Straßenseite die Fahrer nehmen) und nutze dabei auch die automatische Fokusnachführung. Damit fühle ich mich wohler, und meine persönliche Ausschussrate ist damit auch kleiner. Aber das muss jeder für sich selbst herausfinden.
Eine schnelle Serienbildfolge eignet sich besser als eine langsame, weil man mehr Bilder pro Vorbeifahrt bekommt. Kameras ab zehn Bilder/Sekunde eignen sich auch unter schwierigen Mitziehbedingen: Wenn z.B. Laternen an der Straße stehen, sind solche sehr schnellen Bildfolgen immer noch in der Lage, pro Fahrt drei, vier Treffer zu landen, bei denen das Auto nicht vom Laternenmast durchschnitten wird.
Und da wir schon von Technik sprechen: Hilfreich sind Bildstabilisatoren, ob nun in der Kamera oder im Objektiv, die man so umschalten kann, dass sie nur noch auf vertikale Bewegungen der Kamera/des Objektivs reagieren, aber nicht versuchen, die horizontale Schwenkbewegung auszugleichen. Bei meinen Canon-Objektiven ist das der Stabilisatormodus 2.
Die ganz hohe Schule ist dann der Mitzieher beim Autorennen. Weil man mit den Fahrern vorher nicht über ihr Tempo reden kann. Weil sie auf den Geraden sehr, sehr schnell sind. Und weil sie vor Kurven hart bremsen und nach Kurven stark beschleunigen – diese ungleichmäßige Bewegung mitzuziehen erfordert dann noch ein bisschen mehr Übung. Aber dafür ist am Ende auch das Glücksgefühl größer.
Es gibt übrigens bei den Mitziehern zwei Denkschulen: Die einen versuchen, immer längere Belichtungszeiten zu wählen und den Hintergrund völlig unkenntlich zu machen – das kann reizvoll sein, aber zum Beispiel im redaktionellen Bereich wird so ein Foto manchmal auch als ungeeignet bewertet, weil der Betrachter/Leser/Art Director nichts mehr über den Kontext des Motivs erfährt. Darum lassen andere Fotografen (wie ich) diesen Kontext erkennbar – ich muss allerdings auch zugeben, dass es auch einen zweiten Grund für diese Strategie gibt: Noch bin ich nicht ganz so weit, schnelle Autos mit 1/30 oder 1/25 Sekunde sicher zu treffen. Das muss ich noch weiter üben.
In Teil 2 schreibe ich dann über Autos, die auf die Kamera zu oder von ihr weg fahren. Wer hier den Eindruck von Bewegung erzeugen will, muss zu ganz anderen Methoden greifen.
Cool, schöner bericht und eine tolle Abwechselung.
Vielen Dank
Jan
Danke für diese Tips. Helfen mir bestimmt wenn ich die nächste Oldtimer Rallye fotografiere.
Thanks
Jörg
Mal wieder alles auf den Punkt gebracht und mit schönen Beispielen verdeutlicht.
Perfekt, Danke und ich freu mich auf die kommenden Folgen.
Eventuell ist da auch mal was mit Schwenkstativen dabei, wie man diese bei Fahrzeugaufnahmen richtig einsetzt und ob man hier auch andere Lösungen verwenden kann.
Danke, Klaus (und die anderen). Spezielle Schwenkstative kenne ich ehrlich gesagt gar nicht. Meine Erfahrung ist nur, dass man mit dem klassischen Dreibein viel zu langsam und unflexibel ist, und dass ein Einbeinstativ auch nicht immer die richtige Lösung ist: Die Kamera beschreibt dabei auch noch eine vertikale Kreisbahn, bewegt sich also gegen Ende des Mitziehers nach unten. Das kann ganz reizvolle Bilder ergeben, aber ich halte sie lieber in der Hand ein bisschen schräg – dann fahren die Autos auf dem Foto auch aufwärts, was in der Regel dynamischer wirkt. Schönen Abend.
Toller Beitrag!
Vielleicht wollten die Blitzenden Fotografen ja das Auto bewegt darstellen, dadurch dass sie auf den zweiten Verschlussvorhang geblitzt haben. Wahrscheinlich war ihnen gar nicht klar, dass sie dann die Kamera nicht hätten mitziehen dürfen.
Viele Grüße
Thomas
Danke. Der Text war ja schon sehr lang, deshalb habe ich das Nachdenken übers Blitzen auf den zweiten Vorhang mal weggelassen. Aber ganz egal, ob der Blitz gleich nach dem Öffnen des Verschlusses (1. Vorhang) auslöst oder knapp vor dem Schließen (2. Vorhang), er friert das Auto in dem Moment ein, und die starren Felgen verraten ihn. Sicher kann man die Räder mit Photoshop wieder ins Rotieren bringen, aber hier ging es ja doch mehr um das echte Foto. Schönen Tag. 🙂
Viele gute Tipps! Dankeschön! Ich bin zwar nicht so der Fan des diagonalen Horizonts bei dem First-Focus-Auto, aber die anderen Bilder finde ich richtig gut!
Nimmst du für die Bilder an der Rennstrecke das 70-200?
Danke. Ich liebe den schrägen Horizont – schnelle Autos müssen aufwärts fahren, finde ich, das gibt der Sache noch mehr Dynamik. Aber das ist sicher auch Geschmackssache. Und zu den Objektiven: Ein Bild ist sogar mit dem 17-40-Ultraweitwinkel gemacht, aber ja, normalerweise ist das 70-200 im Einsatz. Seit letztem Sommer besitze ich noch das neue 100-400 von Canon, und das hat sich auch schon als sehr hilfreich erwiesen. Schönen Abend 🙂
Super Artikel ! Ich freu mich auf den Rest.
Ein Artikel nach meinem Geschmack. Ich bin auch der Meinung, dass blitzen bei Rennen genauso ein no go ist,
wie auf Konzerten.
Viele Grüße
Herbert
Ein toller Artikel! Ich freue mich schon sehr über den nächsten, den Autos die auf einem zu kommen machen mir immer noch Probleme? Bin schon mega gespannt auf die Tipps!
Herzliche Grüsse Martina
Danke, ich schreibe gerade – Folge 2 kommt morgen (25.2.)
Danke für den sehr lehrreichen Artikel. Ich hatte zwar den 2. Artikel zuerst gelesen, dafür den 1. direkt hinterher Soviele Gedanken habe ich mir über das Thema noch nie gemacht. Echt was dazu gelernt.
Danke, Alexander, das war der Plan 😉 Schönen Abend.
Spitzenartikel!
Danke! Dann musst Du dringend auch Teil 2 lesen 😉
Mega Bericht.. Das Bild mit den verkehrten Mitzieher sieht nicht so toll aus, aber der i8 und die anderen Bilder sind klasse.
Viele Grüße,
Tony
Danke, Tony. Das Bild mit dem verkehrten Mitzieher ist ja auch ein Negativbeispiel – das soll nicht toll aussehen 😉 Schönen Sonntag 🙂